Club Noir: Club Noir

Erschienen: 04/2006
Serie: Club Noir
Teil der Serie: 1

Genre: Fantasy Romance

Location: Belgien, Brüssel

Seitenanzahl: 180 (Übergröße)


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-93828-119-2
ebook: 978-3-86495-045-2

Preis:
Print: 14,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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Club Noir: Club Noir


Inhaltsangabe

Jesse Brown arbeitet in einer Londoner Galerie. Als sie eines Tages das Angebot erhält für vier Wochen nach Brüssel zu gehen, nimmt sie nur sehr widerstrebend an. Diese Stadt ist ihr fremd und sie fühlt sich dort hoffnungslos verloren.
In einer geheimnisvollen Brüsseler Bar, dem „Club Noir“, trifft die einsame junge Frau Louis, der jedoch zudringlicher wird, als es ihr lieb ist. Der charismatische Andrew McCloud, der sie auf geheimnisvolle Weise anzieht, befreit sie aus der misslichen Lage. Er beginnt Jesse zielstrebig zu umgarnen und Jesse lässt sich von seinen Verführungskünsten mitreißen. Louis hingegen wartet im Hinterhalt nur auf eine günstige Gelegenheit, um an Andrew Rache nehmen zu können.
Was Jesse nicht ahnt: Andrew und Louis sind mächtige Vampire und der „Club Noir“ ein Vampir-Club …

Über die Autorin

Emilia Jones ist das Pseudonym der Autorin Ulrike Reineke. Die Autorin, Jahrgang 1978, ist bis heute wohnhaft in der niedersächsischen Kleinstadt Gronau (Leine). Sie ist gelernte Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und arbeitet in der technischen Abteilung einer Zeitung. Seit März 2004...

Weitere Teile der Club Noir Serie

Leseprobe

„Nein“, wimmerte sie schwach. „Nein, lass mich. Ich will nicht.“
„Oh, doch! Du willst … und wie du willst.“
Seine Zunge zog eine feuchte Spur über ihre Wange, ihren Hals und den Nacken. Es durchströmte sie heiß-kalt, als sie plötzlich spürte, wie er sich mit seinen Zähnen an dem Verschluss ihres BHs zu schaffen machte. Sie wollte schluchzen und schreien zugleich: Hör auf! Doch er verführte sie dazu, still zu halten wie ein Kaninchen in der Falle. Genau so fühlte sie sich. Hilflos dem Jäger ausgeliefert, bemüht darum, der Hitze in ihrem Schoß Einhalt zu gebieten.
Louis’ Hand fuhr genüsslich...

...in ihre Hose, als sich plötzlich ein Schatten über Jesses Gesicht legte. Atemlos blickte sie in die dunklen unergründlichen Augen ihres Gegenübers auf. Sie fühlte sich nackt und beschämt. Dieser Mann hätte sie nicht in einer solchen Lage erwischen sollen, obwohl sie nicht hätte sagen können, warum sie so empfand. Sie hätte froh sein sollen, dass endlich jemand auf dieses schändliche Treiben aufmerksam wurde. Doch anstatt ihn um Hilfe anzuflehen, senkte sie den Blick zu Boden.
Dass Louis von ihrem BH abließ und mit der Zunge wieder ihren Nacken hinauffuhr, nahm sie gar nicht mehr wahr. Die bloße Anwesenheit dieses fremden Mannes versetzte sie in eine unerträgliche Benommenheit. Die Wirklichkeit verschwamm und alles um sie herum fühlte sich nicht länger echt an. Alles – bis auf seine Augen. Aber sie sahen durch Jesse hindurch. Sie nahmen Louis ins Visier, der keine Anstalten machte, von seinem Opfer abzulassen
„Was soll das?“ Die Stimme des Fremden durchschnitt die Stille wie ein scharfes Messer.
„Was soll was?“ Louis knabberte an ihrem Ohrläppchen. Jesse zog die Schulterblätter zusammen. Die Hitze in ihrem Körper erlosch. Zurück blieb eine Kälte, die sie erstarren ließ.
„Du kennst die Regeln.“
„Na und?“ Mit einem spöttischen Lachen reagierte Louis auf die Zurechtweisung. „Ich werde sie trotzdem nicht gehen lassen!“
Seine Hand unter Jesses Kinn verstärkte den Druck. Sie schaffte es nicht länger, ihren Blick gesenkt zu halten. Louis presste ihren Kopf in eine unangenehme Haltung zurück. So war sie gezwungen, dem Fremden direkt ins Gesicht zu sehen. Voller Scham bemühte sie sich, die aufsteigenden Tränen fortzublinzeln.
„Offensichtlich befindet sich diese junge Dame nicht freiwillig in deiner Gesellschaft. Du wirst sie sofort loslassen!“, befahl der Mann.
Louis lachte schallend auf. Er amüsierte sich so sehr, dass sein Körper sich förmlich schüttelte und in einem Vibrieren auf Jesse überging. Der Seidenschal, der ihre Hände zusammenhielt, löste sich. Sie drückte ihre Unterarme mit aller Kraft auseinander, so dass der Stoff von ihr abfiel. Mit Hilfe ihrer Hände wollte sie sich nun von Louis’ gewaltsamer Berührung befreien, doch er hielt sie mit einem äußerst starken Griff fest. Einzig der Druck unter ihrem Kinn schwand nun.
„Du kannst mir nichts befehlen – Andrew!“ Wie eine bittere Pille spuckte er den Namen des Fremden aus.
„Du weißt genau, dass ich das kann.“ Sein Körper strahlte eine überlegene Ruhe aus. Langsam näherte er sich dem Paar. „Wenn du sie jetzt freiwillig gehen lässt, wird das keine Konsequenzen für dich haben. Wenn nicht …“
Ein merkwürdiges Geräusch vernahm Jesse in ihrem Nacken. Ein Zischen, ähnlich dem Fauchen einer angriffslustigen Katze. Die Situation verwirrte und beängstigte sie. Der fremde Mann – Andrew – schritt nun offensichtlich auf Louis zu, bereit, sich einer Konfrontation zu stellen.
„Was dann?“
Etwas Spitzes fuhr bedrohlich über Jesses Hals und schickte einen eisigen Schauder durch ihren Körper. Was war das? Ein Messer? Aber nein, redete sie sich selbst ein, es musste eine Sinnestäuschung sein, denn beide Hände von Louis hielten sie ja fest.
„Louis! Halt dich zurück!“ Das Gesicht des fremden Mannes verzog sich nun vor Wut. Seine Augen blitzten wild auf. In ihnen lag etwas, dass Jesse zugleich Furcht einflößte, aber das sie auch anziehend empfand.
Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, als er sie mit seinem Blick streifte. Im nächsten Augenblick wurde sie jäh in die Realität zurückgeschleudert. Louis riss brutal an ihren Armen. Er verdrehte sie und drückte so fest zu, dass sie glaubte, ihr Blutfluss würde unterbrochen werden. Eiseskälte schoss in ihre Fingerspitzen und ließ sie taub werden. Sie versuchte sich zu wehren. Ihre Bemühungen versagten jedoch kläglich. Er war einfach zu stark für sie.
„Was geht es dich an? Was kümmert sie dich?“, fragte er Andrew herausfordernd. Er wollte sich nicht in die Schranken weisen lassen. „Geh und suche dir eine eigene Spielgefährtin! Die hier gehört mir!“ Grob schleuderte er Jesse herum. Seine Hände glitten gierig über ihre Taille und hinauf zu ihren kleinen festen Brüsten. Sie spürte, wie sich sein Glied nun zwischen ihre Schenkel presste. Er wollte sie besitzen. Auf der Stelle. Und er machte kein Geheimnis daraus.
„Du lässt sie sofort gehen!“, beharrte der Fremde. „Du kennst die Regeln. Also hör endlich auf mit deinen Spielchen!“
Louis bebte vor Erregung und Verlangen. Das war längst kein Spiel mehr für ihn. Er hatte seine Wahl getroffen. Jesse sollte seine Sklavin sein. Die Frau, die er entführen wollte in eine Welt, die sie niemals für möglich halten würde. Er konnte ihr so viel bieten. Sie befriedigen wie kein Mann zuvor.
Dann geschah alles so schnell, dass Jesse nicht recht wusste, was um sie herum passierte. Dunkelheit umfing sie. Das fauchende Geräusch erklang erneut, dieses Mal jedoch eindringlicher. Beängstigend. Alles in ihr zuckte zusammen und sie verkroch sich in eine Ecke, ohne zu wissen, wo sie sich befand.
Die Männer beschimpften sich mit Worten, die sie nicht verstehen konnte. Sie flüsterten, als würden sie sich gegenseitig verfluchen. Mehrmals polterte es. Der Boden, auf dem Jesse kauerte, erbebte. Die letzten Worte, die Louis schrie, hallten durch den Flur. Daraufhin herrschte Stille.
Weicher Stoff und ein vertrauter Geruch legten sich auf ihre Wange.
„Ihre Jacke“, hörte sie den fremden Mann mit seiner warmen Stimme sagen. „Die sollten Sie überziehen. Oder wollen Sie so durch den Club?“
Jesse sah an ihrem Oberkörper hinab. Ihre zerrissene Bluse hatte sie vollkommen vergessen. Erst jetzt fiel ihr auf, wie lächerlich sie aussehen musste – halbnackt und hilflos gegen die Wand gepresst.
Ungeschickt strauchelnd richtete sie sich auf. Sie bemühte sich, die Stofffetzen ihrer Kleidung zusammenzufügen. Doch vergebens! Ihre Bluse war nicht mehr zu retten.
Endlich griff sie dankbar nach ihrer Jacke, die Andrew geduldig hielt. Er beobachtete eingehend, wie Jesse damit ihre Blöße bedeckte.
„Danke“, presste sie hervor.
„Immer wieder gern.“ Er grinste unverschämt – aber nur für einen kurzen Augenblick. Dann bot er ihr die Hand, um sie zu stützen. Zaghaft nahm sie seine Hilfe an. Seite an Seite schritten sie schweigend durch den langen, schwach beleuchteten Flur. Wohin Louis verschwunden war, wusste Jesse nicht. Sie wollte es auch gar nicht wissen. Bei dem Gedanken, er könne ihr erneut irgendwo auflauern, wurde ihr jedoch ganz mulmig zumute. Ihre Knie fühlten sich weich an.
„Ich werde Sie selbstverständlich nach Hause bringen“, erriet Andrew ihre Befürchtungen.
Sie blickte ihn von der Seite an und versuchte einzuschätzen, ob sie ihm trauen konnte. Aber sein Gesicht wirkte wie eine verschlossene Tür. Nicht das Geringste war aus seinen Zügen zu lesen.
„Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber das ist wirklich nicht nötig. Ich kann sehr gut …“ Jesse stockte. Sie konnte ihre eigenen Worte nicht begreifen. Warum sagte sie so etwas?
Andrew drehte sie halb herum, so dass sie sich direkt gegenüber standen. Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob es mit einer sanften, beinahe zärtlichen Geste an. „Sie können sehr gut auf sich alleine aufpassen? Das wollten Sie doch sagen oder?“
Jesse wollte etwas erwidern. Aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte einfach nur stumm dastehen. Ihre Gedanken kreisten wild durcheinander. Dieser fremde Mann nahm sie mit seiner unglaublich betörenden Ausstrahlung schlichtweg gefangen. Seine Augen funkelten in einem geheimnisvollen dunklen Ton. Sie waren so tief und unergründlich wie ein Ozean. Er hatte ein feinkantiges Gesicht und halblanges schwarzes Haar. Der vornehme Anzug, den er trug, umschmiegte seinen Körper locker. Trotzdem verriet er eine gut gebaute Statur. Obendrein verströmte Andrew einen angenehmen Geruch, der sich wie Balsam auf Jesses Atemwege legte. Sie war versucht, sich ihm in die Arme zu werfen – und ihr wurde schwindelig bei dem Gedanken daran.
„Nein, keine Widerrede!“ Er fing sie auf, bevor sie sich geschwächt gegen die Wand lehnen konnte. „Ich werde Sie jetzt nach Hause bringen.“
Sie lächelte dankbar.
Jesse fühlte sich der Ohnmacht nahe. Die ganze Situation machte ihr mehr zu schaffen, als sie sich selbst eingestehen wollte. Sie war komplett verwirrt und wusste nicht mehr, was sie von dieser Stadt und ihren Bewohnern eigentlich halten sollte.
Andrew wiederum spielte den perfekten Gentleman. Er trug sie halb die Treppenstufen hinunter und legte den Arm um ihre Schulter, um sie vor den neugierigen Blicken der Club-Gäste zu schützen.
Draußen angekommen fröstelte Jesse, als Andrew sich wieder ein Stück von ihr entfernte. Seine Nähe war so angenehm gewesen. Bei ihm hatte sie ganz andere Gefühle als bei Louis. Andrew brachte sie dazu, sich wohlzufühlen. Dabei kannte sie diesen Mann gar nicht.
Er brachte sie zu einem schicken, nachtschwarzen Porsche. Jesse staunte nicht schlecht, als sie das Auto erblickte.
„Das ist Ihrer?“
„Natürlich.“ Er tat, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Lässig öffnete er die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen.
Jesse konnte es gar nicht glauben. Da hatte sie gerade ein wundervoller, gut aussehender Mann vor einem schändlichen Verbrecher gerettet und brachte sie nun auch noch in einem solch noblen Gefährt nach Hause – oder besser gesagt, zu ihrer vorübergehenden Bleibe.
Sie fühlte sich wie in einem Traum.
Andrew ließ sich neben ihr hinter das Lenkrad sinken und startete den Motor. Als sie diesen Mann so von der Seite betrachtete, spürte sie ein Kribbeln in der Magengegend. Er war zu gut, um wahr zu sein. Und genau das war der Punkt! Was trieb ihn selbst in diesen Club? Hatte er Louis nicht Befehle erteilen wollen? Die beiden mussten sich kennen – und vielleicht gab es da auch eine Verbindung zwischen ihnen, die Andrew nicht mehr ganz so perfekt erscheinen lassen würde.
Ernüchtert rutschte Jesse tiefer in den Sitz.
„Wohin darf ich Sie bringen?“
„Rue du Béguinage.“
„Ah“, er nickte wissend, „dann wohnen Sie gewiss bei Marvin Rochelle.“
„Sie kennen ihn?“ Allmählich wurde Jesse misstrauisch. Was wusste sie schon von Andrew – und was wusste er von ihr?
Auf irgendeine unergründliche Weise schien er ihre Gedanken lesen zu können, denn er lächelte amüsiert. Er sah sich um und lenkte seinen Wagen aus der Parklücke.
„Wissen Sie“, er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, „Marvin ist ein alter Bekannter von mir. Er erwähnte vor ein paar Tagen, dass er eine junge Dame aus England erwartet, die in der Galerie Celeste arbeiten wird.“
„Und Sie wissen, dass ich diese junge Dame bin?“ Jesse kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sie funkelte ihn an – wie eine Katze, bereit, ihre Krallen auszufahren.
„Nun, Sie sind ohne Zweifel Engländerin, wie ich Ihrem Akzent entnehmen darf.“
Darauf fiel ihr partout keine passende Erwiderung ein. Sie wandte sich ab und starrte schweigend durch die Windschutzscheibe. Ihre Zweifel mochten an den Haaren herbeigezogen sein, soviel gestand sie sich ein. Aber ob sie ihm wirklich über den Weg trauen wollte, konnte sie noch nicht entscheiden.
Je länger die Stille um sie herum anhielt, umso eingeengter fühlte sie sich in dem Porsche. Sie wollte aussteigen, um Andrew nicht mehr so dicht bei sich zu haben und sehnte sich dennoch nach seinen Händen auf ihrem Körper. Plötzlich tanzten die wildesten Fantasien durch ihre Gedanken und Jesse fühlte sich nicht in der Lage, dagegen anzukämpfen. Ein leises enttäuschtes Seufzen kam über ihre Lippen, als der Wagen anhielt. Sie hatte das Seufzen nicht verhindern können und Andrew war es offensichtlich nicht entgangen. Trotzdem entstieg sie dem Wagen ohne Umschweife und verabschiedete sich. Viel zu kurz, wie sie sich im Nachhinein vorwarf.
Aber vielleicht war es auch besser so.

Leseprobe 2:

Unschlüssig stand Jesse in der von bunten Lichtern erleuchteten Seitenstraße. Vor vielen Türen der Restaurants standen die Kellner und bemühten sich, Gäste anzulocken. Doch Jesse reagierte gar nicht auf deren aufdringliche Gesten. Sie hatte nur Augen für den im schwachem rötlichem Schein liegenden Eingang des „Club Noir“. In verschnörkelten Buchstaben thronte der Name am oberen Türrahmen. Sollte sie sich einen Ruck geben und erneut hineingehen? Aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, Andrew nicht zu finden – oder schlimmer noch – von ihm abgewiesen zu werden. Sie rang mit sich selbst und wollte schon wieder kehrtmachen, als die Tür knarrend aufschwang. Jesse versuchte ins Innere zu spähen, erkannte jedoch nichts als Dunkelheit darin.
Schließlich gab sie sich einen Ruck. Was sollte auch passieren? Sie würde hineingehen, einen Drink nehmen und wenn sie genügend Mut aufbrachte, nach Andrew suchen. Dieser aufdringliche Louis würde sie doch bestimmt kein zweites Mal belästigen.
Alle Zweifel über Bord werfend, trat Jesse auf den Eingang zu. Er wirkte längst nicht so einladend oder anziehend wie bei ihrem ersten Besuch. Die schwach beleuchtete und verlassene Tür machte eher einen abweisenden Eindruck. Trotzdem schob sie sich durch den offenen Spalt hindurch und tauchte erneut in die mit Rauch geschwängerte Atmosphäre ein.
Die dröhnende Musik klang viel zu laut. Mit dumpfen Pochen schlug sie Jesse aufs Gemüt und vernebelte ihre Sinne. Frauen in aufreizenden Lack- und Lederkostümen drängten sich an ihr vorbei. Sie kicherten aufgeregt, bevor sie in einer Seitentür verschwanden. Ein hoch gewachsener, äußert attraktiver Mann war ihnen in einigem Abstand mit langsamen Schritten auf den Fersen. Er blieb stehen und musterte Jesse eingehend, bevor er den Frauen durch die Tür folgte.
Das Dröhnen setzte plötzlich aus. Stattdessen spielte nun eine sanfte, helle Musik auf.
Ganz wohl war Jesse nicht, doch sie bahnte sich tapfer ihren Weg durch den belebten Innenraum, stets nach Andrew Ausschau haltend.
Der langhaarige Barkeeper erkannte sie sofort wieder. Er trug eine goldene Weste, die mehr von seinem durchtrainierten Oberkörper zeigte, als sie verdeckte. Einem heißblütigen Verführer gleich lehnte er sich über den Tresen in ihre Richtung vor.
„Hübsche Lady.“ Er zwinkerte genau wie bei ihrem ersten Besuch. „Wieder ganz allein hier?“
Sie ignorierte die Frage. Nachdem sie sich noch einmal kurz umgesehen hatte, beugte auch sie sich näher zu ihm. „Können Sie mir sagen, wo ich Andrew finde?“
„Andrew?“ Angewidert verzog er das Gesicht, um gleich darauf mit dem Kopf zu schütteln. „Nein, heute Abend habe ich ihn noch nicht gesehen. Tut mir wirklich sehr Leid.“
Aus irgendeinem Grund glaubte sie nicht, dass er die Wahrheit sagte. Sie betrachtete ihn kritisch, beschloss allerdings, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
„Einen Martini, bitte“, sagte sie.
„Sofort.“ Und tatsächlich stand das Getränk im selben Augenblick vor ihrer Nase.
„A votre santé!“ Eine aufreizend gekleidete Rothaarige stieß unverhofft mit ihr an. Sie lehnte sich seitlich auf die Theke. Ihre Augen blitzten auf. Um den Zeigefinger ihrer einen Hand wickelte sie eine Strähne ihres lockigen Haares. Mit der anderen hielt sie das Glas an ihren grinsenden Mund.
„Ich habe Sie hier doch schon mal gesehen.“
Jesse versteifte sich. Am liebsten hätte sie diese aufdringliche Person einfach ignoriert.
„Ja. Gestern“, sagte sie stattdessen, ohne die Frau anzusehen.
„Hmmm …“, machte die und genehmigte sich einen weiteren Schluck ihres Getränks. Voller Genuss fuhr sie dann mit der Zungenspitze über ihre feuchten Lippen. Neckisch reckte sie sich Jesse entgegen.
„Aber gestern sind Sie nicht alleine gewesen.“
Jesse zuckte entgeistert zurück. Jetzt hatte die Rothaarige doch ihren Blick auf sich gezogen. Sie lächelte äußerst selbstgefällig.
„Und er hat Sie sogar nach Hause gebracht.“
„Was soll das? Was wollen Sie von mir?“
Die Frau verzog schmollend den Mund. Sie leerte ihr Glas mit einem Zug und schob es über die Thekenoberfläche von sich.
„Vielleicht wollte ich nur mit Ihnen plaudern.“
Beleidigt wandte sie sich ab und wollte gehen. Aus einem Impuls heraus sprang Jesse ihr jedoch hinterher und hielt sie am Arm zurück.
„Warten Sie! Es tut mir Leid. Das habe nicht so gemeint. Es ist nur …“
„Ach so.“ Die Rothaarige zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Sie wissen noch nicht, wie das hier im Club läuft.“
Jesse starrte sie irritiert an. Sie verstand nicht, was in diesem Club wie laufen sollte. Erst als sie nun aufsah und etwas genauer durch den Innenraum spähte, bemerkte sie, dass sich die anwesenden Frauen ausnahmslos in knappe und sexy Outfits hüllten. Jede von ihnen zeigte mehr Haut als Jesse. Zwischen all den anderen musste sie wie eine verkalkte Gouvernante wirken.
„Eigentlich suche ich Andrew“, bemühte sie sich aus dieser unangenehmen Situation zu befreien. „Sie wissen nicht zufällig, wo ich ihn finde?“
„Doch.“ Die Rothaarige spielte erneut mit einer Haarsträhne. „Zufällig weiß ich das.“
Jesse starrte sie gebannt an. Warum verriet sie es ihr dann nicht auch, sondern amüsierte sich vielmehr bei diesem merkwürdigen Spiel, das sie trieb?
Sie lachte auf. „Kommen Sie.“ Geschwind fasste sie Jesse bei der Hand und zog sie mitten durch den Raum, so dass viele der Gäste auf die beiden Frauen aufmerksam wurden und ihnen nachschauten. Sie kamen in den Gang, den Jesse bereits an der Seite von Louis durchschritten hatte. Bei dem Gedanken daran durchfuhr sie ein eiskalter Schauder. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat.
Dann ließ die Rothaarige mit einem Mal von ihr ab.
„Sehen Sie die Tür dort?“
„Mit dem goldenen Schild?“
„Genau.“
Sie schob Jesse in die Richtung und war selbst im Begriff, in einer anderen Seitentür zu verschwinden.
„Aber da steht ‚privat’.“
„Ich dachte, Sie suchen nach Andrew.“
Jesse nickte.
„Dann werden Sie ihn dort finden.“
Mit diesen Worten schlüpfte die Rothaarige in einen Raum, aus dem sanfte Musikklänge und der Duft von Lavendel auf den Flur drangen. Kurz erklang ein belustigtes Lachen. Dann wurde es still um Jesse. Das Treiben der Clubgäste schien meilenweit von ihr entfernt.
Nur zaghaft setzte sie einen Fuß vor den anderen. Unschlüssig blieb sie vor der Tür stehen. Woher sollte sie wissen, ob Andrew tatsächlich dahinter auf sie wartete? Es wäre ganz bestimmt klüger, wenn sie jetzt ging. Sie drehte sich halb herum und starrte in den Flur. Fußboden und Wände waren mit einem dunklen Rot verkleidet. Von der Decke hingen kleine kugelförmige Leuchten, die nur einen schwachen Lichtschein boten.
Sie gab sich einen Ruck. Ohne weiter darüber nachzudenken, klopfte sie an die Tür.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da erklang von drinnen auch schon eine unfreundliche Stimme, die Jesse zusammenfahren ließ.
„Herein!“
Nun gab es kein Zurück mehr. Sie konnte nicht fassen, wie sehr sie mit einem Mal zu zittern begann. Aber sie wollte mutig sein, drückte die Klinke hinunter und trat ein.
Da saß er – in einem hohen Sessel – die Arme gebieterisch auf den Lehnen ruhend. Er wirkte anmutig wie eine Statue.
Um ihn herum standen vier weitere Männer. Sie konnten ihre Neugier, was diesen unverhofften Besuch anging, kaum verbergen. Was Jesse jedoch am meisten schockierte, war die Frau, die Andrew zugewandt am Schreibtisch lehnte. Sie trug ein durchsichtiges weißes Spitzenhemd. Ihre schlanken Beine steckten in einer Netzstrumpfhose und mit einem Fuß fuhr sie gerade genüsslich über Andrews Oberschenkel. An dem Verschluss seiner Hose verharrte sie sekundenlang, bevor sie sich provozierend zu Jesse umwandte.
Andrew schob den Fuß beiseite und erhob sich. Er ignorierte die dreisten Annäherungsversuche des leicht bekleideten Mädchens.
Nun wandte er sich eindeutig an Jesse. Sie erschauderte bei dem Anblick, den er ihr bot.
„Warum hast du mich hier aufgesucht?“ Wut sprach deutlich aus seinen dunklen Augen. Er funkelte sie wild an. Die Sanftmut und Zärtlichkeit, die sie in der letzten Nacht durch ihn erfahren hatte, existierten nicht mehr. Es versetzte ihr einen Stich direkt ins Herz. Sie spürte, wie es ihren Körper eiskalt durchfuhr und ihr die Kehle zuschnürte. Ängstlich wich sie zurück.
„Ich dachte nur …“
Ja – was hatte sie gedacht? Wieder und wieder hämmerte diese Frage auf ihr Gemüt und zwang sie beinahe in die Knie. Ihre zitterige Gestalt suchte nach einem festen Halt. Immer weiter ging sie rückwärts durch die Tür zurück.
Sie hatte gedacht – gestand sie sich ein – Andrew würde sie mit offenen Armen empfangen. Seinen Körper glücklich an den ihren schmiegen und mit ihr in eine Wunderwelt der ekstatischen Gefühle versinken.
Genau das war es, was sie wollte! Der Wirklichkeit entfliehen und stattdessen in den starken und beschützenden Armen dieses Mannes liegen. Aber warum verhielt er sich mit einem Mal so abweisend? Sie konnte nicht verstehen, was sich in der kurzen Zeit zwischen sie gestellt hatte. Den Gedanken, sie wäre nicht mehr als ein einfacher One-Night-Stand für ihn gewesen, verdrängte sie. Das konnte unmöglich sein! Niemals hätte sie sich so sehr getäuscht. Da war ein Funke in seinen unergründlichen Augen gewesen, der von Zutrauen gesprochen hatte. Sie musste nur genau hinsehen, um ihn erneut zu entdecken.
Aber alles, was sie in diesem Moment erkannte, sprach von grausamer Kälte. Sie wand sich unter den Blicken der Anwesenden, die plötzlich auf ihr brannten. Jeder von ihnen starrte sie an und keiner machte dabei einen freundlichen Eindruck.
„Es tut mir Leid“, stammelte Jesse. „Ich wollte nicht stören.“
Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte so schnell hinaus, wie sie nur konnte. Das Lachen der anderen hallte ihr noch bis hinaus auf die Straße in den Ohren. Wie hatte sie nur so dumm sein können?
Tränen rannen über ihre Wangen, als sie den Bürgersteig entlanglief. Sie wollte fort – einfach nur fort – und Andrew niemals wieder sehen!