Haven Brotherhood Spin-off: NOLA Knights - His to Defend

Ori­gi­nal­ti­tel: His to De­fend (NOLA Knights #1)
Über­set­zer: Jazz Win­ter

Er­schie­nen: 10/2020
Serie: Haven Bro­ther­hood Spin-off
Teil der Serie: 1

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Mafia Ro­mance
Zu­sätz­lich: Do­mi­nanz & Un­ter­wer­fung

Lo­ca­ti­on: USA, New Or­leans


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-485-6
ebook: 978-3-86495-486-3

Preis:
Print: 14,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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und allen gän­gi­gen On­line­händ­lern und im Buch­han­del

Haven Brotherhood Spin-off: NOLA Knights - His to Defend


In­halts­an­ga­be

NOLA Knights - New Or­leans, Loui­sia­na: Un­ge­zü­gel­tes rus­si­sches Heiß­blut und dunk­le Ver­gan­gen­heit. Wenn diese rauen Män­ner der Brat­va eine be­stimm­te Frau als ihr Ziel aus­er­ko­ren haben, set­zen sie alles daran, dass sie ihnen ge­hört. 

Seine Welt. Seine Re­geln. Ihre Liebe.

Ob­wohl seine Me­tho­den hart sind, be­schützt Ser­gei Pe­tro­vyh das, was ihm ge­hört. Als Evet­te La­ba­die ihn um einen Job bit­tet, weiß er, dass er seine Fin­ger von ihr las­sen soll­te. Aber etwas an ihr zieht ihn an - es brennt in ihm, sie für sich zu be­an­spru­chen.

Na­tür­lich ist Evet­te der mäch­ti­ge Boss der Rus­sen­ma­fia aus der Ferne be­kannt. Im­mer­hin ist er so heiß wie sein Ruf ge­fähr­lich ist! Aber jeder Be­woh­ner ihres schwie­ri­gen Vier­tels in New Or­leans weiß, dass er der Mann ist, an den man sich in Not­fäl­len wen­den kann. Und nach­dem sie ge­ra­de ihren Job ver­lo­ren hat, ist sie in Not. Sie braucht drin­gend Geld, um ihrem hoch­be­gab­ten klei­nen Sohn die be­nö­tig­te schu­li­sche För­de­rung zu­kom­men las­sen. Auch wenn es ihr wi­der­strebt, spielt Evet­te bald Aschen­put­tel für einen Mann, der trotz allem, was die Leute glau­ben, de­fi­ni­tiv mehr Prinz als Ver­bre­cher ist. Sie kann nicht an­ders, als sich jeden Tag immer mehr in ihn zu ver­lie­ben. 

Doch als ein Re­vier­kampf zwi­schen Ser­gei und einem sei­ner Ri­va­len ent­brennt und die Ge­walt nicht vor ihrer Haus­tür halt­macht, muss Evet­te sich damit ab­fin­den, einen Mann zu lie­ben, der vor nichts zu­rück­schreckt, um sie zu ver­tei­di­gen ...

Teil 1 der Spin-off-Se­rie der er­folg­rei­chen "Haven Bro­ther­hood"-Rei­he.  

Über die Au­to­rin

Die aus Okla­ho­ma stam­men­de Mut­ter zwei­er hüb­scher Töch­tern ist at­tes­tier­te Lie­bes­ro­man­süch­ti­ge. Ihr bis­he­ri­ger Le­bens­lauf spie­gelt ihre Lei­den­schaft für alles Neue wider: Rhen­na Mor­gan ar­bei­te­te u.a. als Im­mo­bi­li­en­mak­le­rin, Pro­jekt­ma­na­ge­rin sowie beim Radio.

Wie bei den meis­ten Frau­en ist ihr All­tag von mor­gens...

Wei­te­re Teile der Haven Bro­ther­hood Spin-off Serie

Le­se­pro­be

Hin­ter dem Tre­sen wand­te Do­ro­thy sich um und warf Ser­gei einen Blick zu, den man nur als Re­si­gna­ti­on be­zeich­nen konn­te, und sagte dann etwas zu Evet­te, bevor sie sich in die Küche ver­zog.
Evet­te starr­te ihn an. Ihre Arme waren über­kreuzt und ihr Ge­sichts­aus­druck hatte nichts mehr von der ge­wohn­ten Leich­tig­keit. Was auch immer die feya auf dem Her­zen hatte, es schien ernst zu sein.
Das ge­fiel ihm nicht.
Kein Stück.
Er zwang sich dazu, seine Auf­merk­sam­keit wie­der auf Kir zu rich­ten. „Über­treib es nicht. Etwas Klei­nes. Ge­ra­de genug, um eine Bot­schaft zu sen­den, aber nicht genug, um...

...​einen Krieg an­zu­zet­teln. Wir wer­den Al­fon­si ge­gen­über­tre­ten, wenn die Zeit reif ist.“
Kir nick­te nur ein­mal kurz und griff nach sei­ner Kaf­fee­tas­se.
Evet­te stieß sich vom hin­te­ren Tre­sen ab, um­run­de­te die Bar und kam mit lang­sa­men, aber ziel­stre­bi­gen Schrit­ten näher. Ihr Weg führ­te sie di­rekt zu ihm. Er spür­te den Drang, sich auf­zu­rich­ten, doch bevor seine Mus­keln in Ak­ti­on tre­ten konn­ten, kon­zen­trier­te er sich dar­auf, sein Ver­hal­ten un­be­ein­druckt wir­ken zu las­sen. Würde sich ein Mör­der mit einer Waffe auf ihn zu­be­we­gen, wäre die Maske seine zwei­te Natur. Nur ein wei­te­res per­sön­li­ches Ge­spräch mit dem Tod.
Aber als Evet­te auf ihn zukam, war es eine ganz an­de­re Er­fah­rung. Hin­ter sei­nem Brust­bein brei­te­te sich ein un­be­kann­ter Druck aus. Ein Ad­re­na­lin­schub mach­te seine Haut über­sen­si­bel und ließ die Um­ge­bung be­deu­tungs­los wer­den.
Be­un­ru­hi­gen­de Re­ak­tio­nen.
Ge­fähr­lich für einen Mann wie ihn.
Ro­mans tiefe Stim­me drang kaum zu ihm durch, der rus­si­sche Klang ihrer Mut­ter­spra­che war wie ein be­ru­hi­gen­des Strei­cheln. „Zwei Au­di­en­zen an einem Tag. Und die hier ist mit einem Lamm.“
Kirs Mund zuck­te. „Ich würde sie nicht un­be­dingt als Lamm be­zeich­nen. Aber das könn­te in­ter­es­sant wer­den.“
„Nicht für euch beide“, sagte Ser­gei, als sie sich dem Tisch nä­her­te. „Weil ihr nicht hier sein wer­det.“
Die­ses Mal mach­te sich Kir gar nicht erst die Mühe, sein Lä­cheln zu ver­ber­gen. Er wagte es sogar, zu la­chen, wäh­rend er auf­stand und zu Roman sah, der be­reits auf den Bei­nen war. „Wie ich schon sagte, nur eine Frage der Zeit.“
Evet­te blieb genau zwi­schen ihnen am Tisch ste­hen. So win­zig, wie sie war, ließ sie Kir und Roman wie Rie­sen aus­se­hen, aber sie be­äug­te die bei­den mit einer be­wun­derns­wer­ten Furcht­lo­sig­keit. „Un­ter­bre­che ich ge­ra­de etwas, das ich nicht un­ter­bre­chen soll­te?“
Roman schenk­te ihr etwas, das einem Lä­cheln bei ihm am nächs­ten kam, und bot ihr den Platz an, den er so­eben frei ge­macht hatte. „Nein, Madam. Bitte set­zen Sie sich doch.“
Ei­ni­ge Se­kun­den lang in­spi­zier­te sie den ihr an­ge­bo­te­nen Platz, die bei­den Män­ner neben ihr und alle hin­ter ihr sit­zen­den Gäste. Dann, mit der glei­chen Ent­schlos­sen­heit, die er be­reits wäh­rend ihres Ge­sprächs mit Do­ro­thy be­ob­ach­tet hatte, straff­te sie ihre Schul­tern und glitt auf den Platz rechts von ihm. „Danke.“
„Gerne.“ Roman neig­te sei­nen Kopf Rich­tung Ser­gei und wech­sel­te wie­der ins Rus­si­sche. „Viel Glück, moy brat.“
Kir imi­tier­te die re­spekt­vol­le Geste, doch seine Augen glänz­ten mit genug Hei­ter­keit, um zu ver­spre­chen, dass er spä­ter auf De­tails drän­gen würde. „Glück­li­cher Bas­tard.“ Er deu­te­te mit dem Kinn Rich­tung Bür­ger­steig und wech­sel­te zu­rück in die Lan­des­spra­che. „Wir war­ten drau­ßen.“
Ser­gei igno­rier­te den Spott und wand­te seine Auf­merk­sam­keit Evet­te zu, nach­dem die bei­den da­von­ge­schlen­dert waren. „Ms. La­ba­die. Ihr Be­such an mei­nem Tisch kommt un­er­war­tet.“
„Sie ken­nen mei­nen Namen?“
„Sie holen Ihren Sohn jeden Tag nach der Schu­le hier ab, be­su­chen Do­ro­thy auch bei an­de­ren Ge­le­gen­hei­ten häu­fig und manch­mal ar­bei­ten Sie sogar für sie. Es wäre nach­läs­sig von mir, Ihre Pa­ten­tan­te nicht nach dem Namen einer schö­nen Frau zu fra­gen, die ich so oft hier sehe.“
Sie ver­zog ihren Mund auf einer Seite, ge­ra­de mit ge­ra­de genug Ver­är­ge­rung und Iro­nie, um zu be­wei­sen, dass sie Sinn für Humor besaß. „Do­ro­thy hat ver­ges­sen zu er­wäh­nen, dass Sie char­mant sind.“
Er war also das Thema ihres Ge­sprächs ge­we­sen. In­ter­es­sant. Er ver­mu­te­te au­ßer­dem, dass dies wohl auch die Re­si­gna­ti­on auf Do­ro­thys Ge­sicht er­klär­te, bevor sie in der Küche ver­schwun­den war – seine feya brauch­te etwas. Etwas, das wich­tig genug war, um sich mit dem Teu­fel ein­zu­las­sen, und ihre Pa­ten­tan­te hatte nichts getan, um es zu ver­hin­dern. „Das kann ich durch­aus sein.“ Auf­zu­zäh­len, was für Fä­hig­kei­ten ihm häu­fi­ger nach­ge­sagt wur­den, war un­nö­tig. Es schweb­te zwi­schen ihnen wie ein schwan­ken­der Sen­sen­mann im Wind, der nur auf sei­nen nächs­ten Auf­trag war­te­te.
Evet­te zap­pel­te auf ihrem Sitz herum und schob Ro­mans ver­las­se­ne Kaf­fee­tas­se an den Tischrand. „Wis­sen Sie, meine Momma hat hier frü­her ge­ar­bei­tet. Fast von dem Tag an, als Do­ro­thy und ihr Ehe­mann das Diner er­öff­net haben.“ Sie sah zu dem Tre­sen, an dem Emer­son saß und nun seine Haus­auf­ga­ben er­le­dig­te. „Ich habe immer genau dort ge­ses­sen, wo Emer­son jetzt ist, wäh­rend ich dar­auf ge­war­tet habe, dass sie ihre Schicht be­en­de­te. Wenn ich keine Haus­auf­ga­be auf­hat­te, ließ Do­ro­thy mich ar­bei­ten, Salz- und Pfef­fer­steu­er be­fül­len, Zu­cker­päck­chen auf­fül­len oder das Be­steck in Ser­vi­et­ten ein­rol­len.“
Sie war eben­so ein Ein­zel­kind und nun eine Al­lein­er­zie­hen­de; wer Emer­sons Vater war, wuss­te nicht ein­mal Evet­te selbst. Sie lebte in einem her­un­ter­ge­kom­me­nen Wohn­haus, das Ser­gei in den letz­ten drei Mo­na­ten zwei­mal zu kau­fen ver­sucht hatte, aber jetzt, wo er neben ihr saß – ihre Stim­me hörte und ihrer un­er­schüt­ter­li­chen Güte so nah war –, be­feu­er­te das nur seine Mo­ti­va­ti­on, alles zu be­zah­len, was nötig war, um das Ge­schäft end­lich ab­zu­schlie­ßen. „Das weiß ich.“
Echte Über­ra­schung er­hell­te ihr Ge­sicht. „Wirk­lich?“
„Do­ro­thy hat Sie sehr gern. Sie hat mir viele Dinge er­zählt. Auch, wie Ihre Mut­ter ihr nach dem Tod ihres Man­nes bei­ge­stan­den hat.“
Etwas von der Vor­sicht, die sie mit an den Tisch ge­bracht hatte, ver­schwand und eine Düs­ter­keit legte sich über ihre ha­sel­nuss­brau­nen Augen. Sie stütz­te ihre Un­ter­ar­me auf den Tisch und zeich­ne­te mit dem Zei­ge­fin­ger die Linie ihres Fin­ger­na­gels nach. „Das war eine schwie­ri­ge Zeit. Es war un­ge­fähr ein oder zwei Mo­na­te nach dem Hur­ri­kan Kat­ri­na und alle waren ner­vös. Ich glau­be, nie­mand hätte ge­dacht, dass es so schlimm wer­den würde, dass je­mand für Essen er­schos­sen wer­den würde.“
Aber Do­ro­thys Mann war genau das pas­siert. Ser­gei hatte die De­tails dazu selbst nach­ge­schla­gen. Nach Ge­schäfts­schluss war ein Mann ein­ge­bro­chen, der ver­zwei­felt seine Fa­mi­lie er­näh­ren woll­te. Do­ro­thys Ehe­mann war der Ein­zi­ge, der zwi­schen dem Schüt­zen und der von ihm be­gehr­ten Ware ge­stan­den hatte. „Sie waren da­mals fünf­zehn.“
Die­ses de­tail­lier­te Wis­sen er­reg­te ihre Auf­merk­sam­keit in­ner­halb eines ein­zi­gen Herz­schlags, und eine hart er­lern­te Vor­sicht mach­te sich in ihrem strah­len­den Blick breit.
Ja, malen’kaya feya. Ich weiß alles über dich.
Er muss­te es nicht sagen. Sie fühl­te es und re­spek­tier­te die Ge­fahr, die es re­prä­sen­tier­te.
Umso bes­ser für sie beide. Wenn sie eine Bitte hatte, war es klug, sich daran zu er­in­nern, mit wem und mit was sie es zu tun hatte, bevor sie die An­fra­ge stell­te.
Für einen Mo­ment ließ er die un­an­ge­neh­me Stil­le zwi­schen ihnen schwe­len, dann gab er ihr einen ver­ba­len Schubs. „Woll­ten Sie über etwas Be­stimm­tes mit mir spre­chen, Ms. La­ba­die?“
Sie hielt sei­nem Blick stand. Ihre Augen waren aus­drucks­stark, durch­läs­sig für all die Emo­tio­nen, die sich da­hin­ter reg­ten. Angst. Vor­sicht. Ver­zweif­lung und Hoff­nung.
Ihr Blick kehr­te zu­rück zu Emer­son, und als sie sprach, lag da eine ge­wis­se Ehr­furcht in ihrer en­gels­glei­chen Stim­me. „Haben Sie Kin­der?“
Ein un­er­war­te­ter Schmerz brei­te­te sich zwi­schen sei­nen Rip­pen aus. „Nyet.“
Sie wand­te sich ihm wie­der zu. „Eine Ehe­frau?“
„Nyet.“
„Eine Freun­din?“
Eine in­ter­es­san­te Wen­dung. Er hatte keine Ah­nung, wohin sie damit woll­te. Eine Frau wie Evet­te würde sich nicht für einen Mann wie ihn in­ter­es­sie­ren. Je­den­falls nicht auf die Weise, wie es ihre Be­fra­gung an­zu­deu­ten schien. Und doch war seine phy­si­sche Re­ak­ti­on so­fort und eif­rig bei der Idee dabei.
Sein Schwei­gen und seine Mimik muss­ten wohl die Rich­tung sei­ner Ge­dan­ken ver­ra­ten haben, denn sie rich­te­te sich auf und plap­per­te drauf­los. „Ich ver­su­che her­aus­zu­fin­den, ob Sie je­mand Be­son­de­res in ihrem Leben haben. Je­mand, für den Sie sich ein Bein aus­rei­ßen wür­den.“
Ah, also war es Emer­son, um den sie sich Sor­gen mach­te. Das ergab Sinn. Jeder, der sie mit ihrem Sohn sah, wuss­te, dass sie Berge ver­set­zen würde, um Emer­sons Leben da­durch bes­ser zu ma­chen. Auch wenn es be­deu­te­te, sich auf einen Tanz mit dem Teu­fel ein­zu­las­sen.
Er nick­te und dach­te dabei an die Frau, die er als Schwes­ter be­trach­te­te, Darya, und an Anton, den Mann, der mehr ein Vater als sein ei­ge­ner für ihn ge­we­sen war. „Es gibt da ei­ni­ge.“
Sie stu­dier­te sein Ge­sicht, kon­zen­trier­te sich dar­auf, als ob sie die Ehr­lich­keit sei­ner Ant­wort ein­schät­zen woll­te. Was auch immer sie ge­se­hen hatte, muss­te wohl ihren Mut be­feu­ert haben, denn sie schluck­te den letz­ten Rest ihrer Angst hin­un­ter und fuhr fort. „Emer­son ist mein Ein und Alles. Die ein­zi­ge Fa­mi­lie, die ich noch habe.“
„Die Fa­mi­lie ist in der Tat wich­tig.“ Er war­te­te. Wenn sie etwas woll­te, muss­te sie darum bit­ten. Er hatte be­reits genug auf dem Ge­wis­sen, um ihn für immer in die Hölle zu ver­ban­nen. Ihren Un­ter­gang würde er je­doch nicht auf die­ser Liste er­gän­zen.
Sie fing er­neut an, an ihren Fin­ger­nä­geln her­um­zu­fum­meln, wäh­rend es so wirk­te, als wäre ihre Auf­merk­sam­keit auf den Tisch ge­rich­tet; dabei schien sie ganz wo­an­ders mit ihren Ge­dan­ken zu sein. „Die letz­ten Jahre waren hart für ihn. Es kommt mir vor, als wäre er über Nacht von einem Kind zu einem Er­wach­se­nen ge­wor­den, der im Kör­per eines Jun­gen ge­fan­gen ist. Seine Leh­rer sagen, es liege daran, dass er sich in der Schu­le lang­weilt. Oder un­ter­for­dert fühlt.“ Sie hob den Kopf und auf ihren Lip­pen zeich­ne­te sich ein stol­zes Lä­cheln ab. „Mein Emer­son ist klug.“ Das Lä­cheln ver­rutsch­te. „Aber er hat es nicht leicht, und die Leh­rer den­ken alle, wenn ich es schaf­fe, ihn in der Montes­so­ri-Schu­le im Stadt­rand un­ter­zu­brin­gen, würde ihm das hel­fen.“
Als hätte er ge­spürt, dass das Ge­spräch sich um ihn dreh­te, blick­te Emer­son von sei­nen Schul­bü­chern auf und er­wi­der­te Ser­geis Blick.
Schmerz.
Ver­wir­rung.
Frus­tra­ti­on.
Leere. Die Art, die ent­stand, wenn der wert­vol­le Teil im Leben eines Jun­gen fehl­te.
Ser­gei kann­te diese Leere, war den glei­chen Weg vol­ler Schmerz, Frus­tra­ti­on und Ver­wir­rung ge­gan­gen, bis Yefim ihn ge­fun­den und Anton vor­ge­stellt hatte. Evet­te konn­te den Jun­gen in die beste Schu­le des Lan­des brin­gen, doch das würde nie die Lücke fül­len, mit der ihr Sohn sich her­um­schlug. Er brauch­te einen Men­tor. Einen Mann, der ihn lei­te­te, ihm half, sein Leben zu ge­stal­ten.
Es stand Ser­gei al­ler­dings nicht zu, diese Weis­heit mit ihr zu tei­len. Ganz be­son­ders, da es sich um ein Be­dürf­nis han­del­te, das Evet­te nicht er­fül­len konn­te. „Dann soll­ten Sie die­ser Schu­le wohl eine Chan­ce geben.“
„Das will ich. Ich werde es tun. Tat­säch­lich haben sie ge­ra­de einen Platz frei. Der Schul­lei­ter sagte sogar, Emer­son hätte gute Chan­cen, sich für ein Sti­pen­di­um zu qua­li­fi­zie­ren, al­ler­dings muss ich das Geld für sei­nen Stu­di­en­ge­büh­ren vor­stre­cken, um sei­nen Platz so lange zu hal­ten.“
„Sie brau­chen also Geld, um die Auf­nah­me zu si­chern.“ Eine Bitte, die leicht zu er­fül­len war und ver­hin­dern würde, dass sie die häss­li­che Seite sei­nes Le­bens sah.
„Nein. Kei­nen Kre­dit. Ich möch­te Hilfe bei der Ar­beits­su­che. Eine Re­fe­renz oder einen Hin­weis, wenn sie einen haben. Und je frü­her, desto bes­ser.“
In­ter­es­sant.
Wie oft waren die Men­schen zu ihm ge­kom­men und hatte ihn um Hilfe ge­be­ten, aber nicht ein ein­zi­ges Mal hatte je­mand das An­ge­bot von Geld ab­ge­lehnt.
Er beug­te sich vor und legte wie sie die Un­ter­ar­me auf dem Tisch ab. Wäh­rend seine Hände ruhig und lo­cker blie­ben, waren ihre immer noch zap­pe­lig mit­ein­an­der be­schäf­tigt. „Ein Job.“
„Ja.“
„Was für ein Job?“
Sie dreh­te sich in ihrem Sitz neben ihm so, dass sie ihm ihren Ober­kör­per zu­wand­te. Ihr Bein, das ihm am nächs­ten war, hatte sie an­ge­zo­gen; es lag ruhig auf dem Sitz. Es wirk­te, als ob sie sich für ein nor­ma­les Ge­spräch mit einem un­schul­di­gen Mann statt mit einem be­kann­ten Sub­jekt aus der kri­mi­nel­len Un­ter­welt wapp­ne­te. „Nun ja, Sie wis­sen, dass ich in einem Laden wie die­sem ar­bei­ten könn­te. Zu­min­dest hier vorne. Ich war noch nie in einer Küche tätig, also wäre das schwer zu ver­kau­fen. Mein letz­ter Job war bei einer Rei­ni­gungs­fir­ma. Wir haben in Ge­schäfts­ge­bäu­den ge­ar­bei­tet, haupt­säch­lich in Büros. Das hat gut funk­tio­niert, denn es ist Tag­ar­beit und ich hatte kurz nach Emer­sons Schul­schluss frei. Ich denke je­doch, dass es schwie­rig sein wird, so etwas wie­der zu be­kom­men, wenn der neue Ar­beit­ge­ber eine Re­fe­renz von mei­nem ehe­ma­li­gen ver­langt.“
„Und warum?“
„Weil sie mich wegen einem Si­cher­heits­ver­stoß ge­feu­ert haben.“
Alles in ihm wurde still. Seine Raub­tier­in­stink­te wur­den mit der glei­chen Ein­dring­lich­keit aus­ge­löst, die er ge­spürt hätte, wenn einer sei­ner meist­ge­hass­ten Fein­de durch die Türen des Di­ners ge­kom­men wäre. „Er­klä­ren Sie mir das.“
Evet­tes Augen ver­eng­ten sich und sie neig­te ihren Kopf ein klein wenig. Als sie ant­wor­te­te, tat sie das mit der Vor­sicht einer Frau, die sich sehr be­wusst war, dass sie ge­ra­de über eine Art Aus­lö­ser ge­stol­pert war, sich je­doch nicht ganz si­cher war, was der Aus­lö­ser tat­säch­lich war. „Ich habe wirk­lich keine Ah­nung. Sie haben ge­sagt, mein Aus­weis sei am ver­gan­ge­nen Sams­tag in einem An­walts­bü­ro be­nutzt wor­den, aber ich weiß, dass das nicht stim­men kann. Mein Aus­weis war zu Hause. Emer­son und ich waren am Sams­tag nur zwei­mal un­ter­wegs – auf dem Bau­ern­markt und in der Kir­che. Ich kann es auf kei­nen Fall ge­we­sen sein.“
„Und das haben Sie ihnen ge­sagt?“
„Na­tür­lich. Aber es stand mein Wort gegen ein com­pu­ter­ge­stütz­tes Tracking­sys­tem, also woll­te mein Boss mir nicht zu­hö­ren.“
Er würde dar­auf wet­ten, dass er ihren Boss dazu brin­gen könn­te, zu­zu­hö­ren.
Und ihn lei­den las­sen.
Für eine ganze Weile.
Al­ler­dings würde das, auf lange Sicht ge­se­hen, nicht gut für sie funk­tio­nie­ren, und in sei­nem Kopf nahm eine ver­lo­cken­de, aber ge­fähr­li­che Idee Ge­stalt an. Vor­teil­haft für sie beide, doch reine Fol­ter für ihn.
Er lehn­te sich er­neut zu­rück und stu­dier­te ihr Ge­sicht.
Sie starr­te zu­rück. Ihre Augen, mit Blau und Grün durch­setz­te Gold­fle­cken, wur­den durch die­sen un­be­zähm­ba­ren Geist, der darin tobte, noch viel fas­zi­nie­ren­der. Einer hoch an­ge­se­he­nen Frau wie Evet­te und ihrem Sohn zu hel­fen, würde ihm bei den Ein­hei­mi­schen viel Ver­trau­en, Re­spekt und Loya­li­tät ein­brin­gen. Und je mehr Loya­li­tät und Re­spekt er ern­te­te, desto schnel­ler würde er seine Ziele er­rei­chen.
Ein Ge­winn für sie und ein Ge­winn für ihn.
Dafür könn­te er si­cher­lich ein wenig Fol­ter ver­kraf­ten.
Nach­dem er seine Ent­schei­dung ge­fällt hatte, mach­te er sich eine geis­ti­ge Notiz, den Namen der Firma, in der sie ge­ar­bei­tet hatte, her­aus­zu­fin­den und den an­geb­li­chen Si­cher­heits­ver­stoß zu un­ter­su­chen. Er zog eine Vi­si­ten­kar­te aus sei­ner Ta­sche, schrieb eine Adres­se auf die Rück­sei­te und schob sie über den Tisch. „Seien Sie am Mon­tag um neun Uhr mor­gens dort.“
Mit einer be­zau­bern­den Kopf­be­we­gung nahm sie die Karte in die Hand und be­gut­ach­te­te den for­mel­len Druck auf der Vor­der­sei­te – ein ein­fa­cher Hin­weis auf Bo­ga­tyr In­dus­tries mit einer Te­le­fon­num­mer, bevor sie sie um­dreh­te. Evet­te run­zel­te ihre Stirn und schau­te auf. „Die wer­den mir hel­fen, einen Job zu fin­den?“
„Nein, sie wer­den Ihnen einen Job geben.“
„Aber die ken­nen mich doch gar nicht.“
Da war es wie­der. Diese Un­schuld. Diese Güte, die auf wun­der­sa­me Weise von dem har­ten Leben, das sie führ­te, un­be­rührt ge­blie­ben waren. Aber sie hatte auch einen ei­ser­nen Wil­len, eine Stär­ke, die er nur be­wun­dern konn­te.
Wenn er das durch­zie­hen würde – wenn sie die Un­ter­stüt­zung ak­zep­tier­te, die er ihr zu geben be­ab­sich­tig­te –, wäre er wohl stän­dig der Ver­füh­rung aus­ge­setzt.
Doch sie würde sehr davon pro­fi­tie­ren. Viel­leicht würde sie end­lich den Halt fin­den, den sie brauch­te, um ihre Kar­rie­re im Mo­de­ge­schäft zu star­ten, die sie wegen ihrer plötz­li­chen Schwan­ger­schaft mit Emer­son auf­ge­ge­ben hatte. Do­ro­thy hatte ihm das er­zählt.
Er rutsch­te aus der Sitz­ecke, rich­te­te seine An­zug­ja­cke und knöpf­te sie zu. „Sie haben mich um Hilfe ge­be­ten, Ms. La­ba­die. Seien Sie mor­gen früh um neun Uhr da und Sie wer­den sie er­hal­ten.“
Sie starr­te zu ihm empor, ihre hüb­schen ro­sa­far­be­nen Lip­pen leicht ge­öff­net und ihre Augen vor Stau­nen weit auf­ge­ris­sen. Als hätte sie ge­ra­de einen Rit­ter auf einem Ein­horn durch das Diner rei­ten sehen. Nach ein paar Se­kun­den vol­ler Ver­blüf­fung schüt­tel­te sie ihre Be­nom­men­heit ab und stand eben­falls auf. Sie streck­te ihre Hand aus. „Danke.“
Bozhe, aber sie war win­zig. Bei sei­ner Größe von einem Meter drei­und­neun­zig reich­te ihr Schei­tel kaum bis an seine Brust. Und dank des Stau­nens und der auf­rich­ti­gen Dank­bar­keit in ihrem Ge­sicht, die ihn an­strahl­ten, fühl­te er sich erst recht wie ein Riese. Ser­gei nahm ihre Hand in seine, wobei deren schie­re Größe die ih­ri­ge voll­stän­dig ver­schlang.
Zieh sie näher.
Lass sie deine Kraft spü­ren.
Zeig ihr, wie si­cher sie sich bei dir füh­len kann.
Er schüt­tel­te die un­ge­woll­ten Ge­dan­ken ab und löste sei­nen Griff. „Dan­ken Sie mir noch nicht, malen’kaya feya.“ Er dreh­te sich um und ging auf die Tür zu und auf seine Män­ner, die drau­ßen auf ihn war­te­ten.
„War­ten Sie.“
Beim Klang der Dring­lich­keit in ihrer Stim­me blieb er in der halb ge­öff­ne­ten Tür ste­hen und dreh­te sich zu ihr um.
Sie eilte zu ihm. „Was be­deu­tet das? Die­ses feya-Ding.“
Emer­son saß auf dem Bar­ho­cker; seine Haus­auf­ga­ben waren wegen der In­ter­ak­ti­on zwi­schen Ser­gei und sei­ner Mut­ter längst ver­ges­sen.
Ser­gei rich­te­te sei­nen Blick auf Evet­te, und zum ers­ten Mal seit lan­ger Zeit, konn­te er sich gegen ein Lä­cheln nicht weh­ren. „Malen’kaya feya be­deu­tet ‚klei­ne Fee‘.“ Ohne auf eine Er­wi­de­rung zu war­ten, nick­te er Emer­son zu und ging nach drau­ßen.
Um­ge­hend flan­kier­ten seine Män­ner ihn rechts und links, und die drei mach­ten sich ge­mein­sam auf den Weg zu dem ma­ri­neblau­en BMW, der am Ende des Blocks ge­parkt war.
Kir schaff­te es bis zum Öff­nen der Hin­ter­tür für Ser­gei, ehe seine Neu­gier sieg­te. „Und, was hat sie ge­wollt?“
„Einen Job. Sie braucht einen ab Mon­tag.“ Ser­gei rutsch­te auf den Rück­sitz, wohl wis­send, dass er mit einer solch vagen Ant­wort nie­mals durch­kom­men würde. Sie waren zu lange zu­sam­men, um Ge­heim­nis­se vor­ein­an­der zu haben. Sie kämpf­ten schon zu viele Jahre Seite an Seite, um nur mit dem ab­so­lu­ten Mi­ni­mum an Ant­wor­ten ab­ge­speist zu wer­den.
So­bald Kir sich hin­ter das Lenk­rad ge­setzt hatte, tor­pe­dier­te er ihn mit einer Nach­fra­ge. „Wirst du einen für sie fin­den?“
„Das habe ich be­reits.“
Kir und Roman wech­sel­ten einen Blick.
Roman dreh­te sich auf dem Bei­fah­rer­sitz so weit, dass er Ser­gei über die Schul­ter hin­weg an­se­hen konn­te, und hob eine Au­gen­braue.
„Sie hat Er­fah­rung im Put­zen“, sagte Ser­gei. „Sie ist kom­pe­tent und ver­trau­ens­wür­dig, des­halb wird sie ab Mon­tag­mor­gen mein An­we­sen ver­wal­ten.“

Evet­te über­prüf­te ein­mal mehr die Adres­se auf der Vi­si­ten­kar­te und dann die Haus­num­mer, die auf der coo­len Pla­ket­te am schmie­de­ei­ser­nen Zaun ein­ge­ätzt war.
Yep. De­fi­ni­tiv der rich­ti­ge Ort.
Ihr Blick wan­der­te zu­rück zu dem mas­si­ven Plan­ta­gen­haus, das vor ihr stand. Mit sei­ner wei­ßen Fas­sa­de und den klas­si­schen run­den Säu­len ge­hör­te es zum ty­pi­schen Ar­chi­tek­tur­stil, den jeder Be­su­cher im Gar­den District von New Or­leans er­war­te­te. Die zwei­te Etage war wie eine Ga­le­rie auf­ge­baut, die sich per­fekt dazu eig­ne­te, bei einem Mint Julep – einem Cock­tail aus Bour­bon, Minze und Zu­cker­si­rup – den Son­nen­un­ter­gang zu ge­nie­ßen.
Und es war rie­sig.
Wun­der­schön und atem­be­rau­bend in sei­ner ma­jes­tä­ti­schen Schön­heit.
Die Frage war, warum sie hier und nicht bei einem Ge­schäfts­ge­bäu­de war. Ja, sie hatte schon vor­her ge­wusst, dass die Adres­se, die Ser­gei ihr ge­ge­ben hatte, im Gar­den District lag. Aber bis sie aus der his­to­ri­schen Saint-Charles-Stra­ßen­bahn aus­ge­stie­gen war, hatte sie nicht ge­ahnt, dass die Adres­se sie zu einem Haus füh­ren würde.
Nein, kein Haus, Evie. Ein Haus war etwas für nor­ma­le Leute. Das Ding hier war eine Villa, und ein Teil von ihr hatte Angst, über­haupt dort an der Haus­tür an­zu­klop­fen.
Sie starr­te hoch zu dem mas­si­ven Kron­leuch­ter, der über der rie­si­gen Ein­gangs­tür aus Ma­ha­go­ni hing. Diese Tür war das Ein­zi­ge, was zwi­schen ihr und einem Job stand. Sie konn­te ent­we­der auf dem Bür­ger­steig ste­hen blei­ben und wie eine Tou­ris­tin glot­zen, oder den Mut auf­brin­gen, es an­zu­ge­hen.
„Nun, Ers­te­res wird dir nicht dabei hel­fen, dich um dei­nen Jun­gen zu küm­mern“, mur­mel­te sie leise. Sie press­te die Lip­pen auf­ein­an­der und nahm die Schul­tern zu­rück. Toll ge­macht, Evie. Sie haben wahr­schein­lich über­all Über­wa­chungs­ka­me­ras, die di­rekt auf dich ge­rich­tet sind. Lass sie ruhig sehen, dass du mit dir selbst la­berst.
Sie ging mit der glei­chen vor­ge­täusch­ten Zu­ver­sicht voran, die sie seit dem Tag, an dem sie mit Emer­son aus dem Kran­ken­haus ge­kom­men war, wie einen Pan­zer vor sich her­trug. Das war der Mo­ment ge­we­sen, in dem ihr klar ge­wor­den war, dass sie sich mehr auf­ge­bür­det hatte, als sie tra­gen konn­te. Es war al­ler­dings etwas Wah­res dran an der Phra­se: Täusch es so lange vor, bis es tat­säch­lich klappt. Einen Tag nach dem an­de­ren an­zu­ge­hen und ihre un­er­bitt­li­che Ent­schlos­sen­heit hat­ten ihr ge­hol­fen, so weit zu kom­men, und sie hatte nicht vor, jetzt zu knei­fen.
Evie drück­te auf die Klin­gel, und hin­ter der Tür er­tön­te ein Ge­räusch, das sich wie eine ein­zel­ne Kir­chen­glo­cke an­hör­te. Sie prüf­te ein letz­tes Mal ihr Out­fit, das aus einer engen schwar­zen Hose mit Auf­schlä­gen an den Knö­cheln, einem är­mel­lo­sen, creme­far­be­nen Hä­kels­hirt mit Her­zaus­schnitt und un­ech­ten Per­len­knöp­fen be­stand. Dazu trug sie einen pas­sen­den Bla­zer, der an den Un­ter­ar­men hoch­ge­rollt war, und ele­gan­te, al­ler­dings nicht allzu hohe brau­ne Pumps. Es waren alles qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Teile, die sie im Laufe der Jahre in Se­cond­hand­lä­den ge­kauft hatte, doch nie­mand außer ihr würde wis­sen, dass es ge­brauch­te Ware war. Zu­min­dest nicht, wenn sie nicht ge­se­hen hat­ten, wo sie wohn­te. Sie hatte ge­dacht, der Look würde ihre wa­ge­mu­ti­ge Ich-kann-das-Ein­stel­lung ver­mit­teln, aber an­ge­sichts des An­we­sens, vor dem sie nun stand, hätte sie viel­leicht bes­ser ein klas­si­sches Kos­tüm wäh­len sol­len.
Zu spät.
Sie war hier, und nach den schwe­ren Schrit­ten auf einer har­ten Ober­flä­che hin­ter der Tür zu ur­tei­len, wurde es nun ernst.
Der Tür­knauf wurde ge­dreht.
Evie hob ihr Kinn an und strahl­te mit ihrem Mar­ken­zei­chen­lä­cheln die Tür an.
Eine Se­kun­de spä­ter ver­blass­te es. Der pure Schock, als Ser­gei auf sie her­ab­blick­te, wurde nur noch von der Tat­sa­che über­trof­fen, dass er zum ers­ten Mal, seit er vor einem Jahr ins Diner ge­kom­men war, ohne An­zug­ja­cke vor ihr stand.
Hei­li­ge Mut­ter Got­tes, war er ein schö­ner An­blick. Ei­ni­ge Män­ner brauch­ten einen Anzug, um mäch­tig aus­zu­se­hen, aber nicht Ser­gei. Das Feh­len der Jacke und wie sich sein fei­nes Hemd über diese brei­ten Schul­tern spann­te, brach­te sei­nen erst­klas­si­gen Ober­kör­per erst so rich­tig zur Gel­tung.
Heute be­stand sein Out­fit aus einem sehr hel­len la­ven­del­far­be­nen Hemd, ge­paart mit einer per­fekt sit­zen­den grau­en Hose. Ob­wohl er stets An­zü­ge be­vor­zug­te, wenn sie ihn ge­se­hen hatte, trug er nur sel­ten Kra­wat­ten. Auch heute mach­te er da keine Aus­nah­me. Sein An­blick ver­lock­te eine Frau dazu, ihre Fin­ger unter den Stoff des Hem­des zu schie­ben, um her­aus­zu­fin­den, ob er eher eine be­harr­te oder glatt ra­sier­te Brust hatte.
„Ms. La­ba­die.“
Die Amü­siert­heit in sei­ner Stim­me brach­te sie dazu, ihre Augen von sei­ner Brust los­zu­rei­ßen und sei­nen Blick zu er­wi­dern. Hatte sie ge­starrt?
Ähm, hallo? Na­tür­lich hast du das. Das tust du doch immer.
Rich­tig. Und nun stan­den ihre Wan­gen in Flam­men und sie glotz­te ihn schon wie­der an. Sie räus­per­te sich. „Ich habe nicht er­war­tet, Sie hier zu sehen.“ Sie dreh­te sich und blick­te zu den an­de­ren Häu­sern, die die Stra­ße säum­ten. „Ei­gent­lich habe ich nicht er­war­tet, über­haupt hier zu sein. Ich dach­te eher, ich würde zu einem Ge­schäfts­ge­bäu­de gehen.“
„Ein Ge­schäfts­ge­bäu­de?“
„Ja. Sie wis­sen schon. Eine Ver­mitt­lungs­agen­tur oder so etwas in der Art.“
Er trat zu­rück, wink­te sie her­ein und schüt­tel­te den Kopf. An­ge­sichts des Grin­sens auf sei­nem Ge­sicht war sie sich ziem­lich si­cher, dass sein Kopf­schüt­teln mehr hu­mor­voll als ab­leh­nend ge­meint war wegen ihrer Ver­mu­tung. „Ich fürch­te, nein.“
Wow.
Der Ein­gang prä­sen­tier­te alles, was an die­sen Plan­ta­gen­häu­sern so wun­der­voll war. Er war nicht so an­ma­ßend und ver­schwen­de­risch wie bei ei­ni­gen rie­si­gen Lu­xus­vil­len, die sie on­line ge­se­hen hatte, aber den­noch so an­spruchs­voll im De­tail, dass er au­gen­blick­lich einen enor­men Ein­druck ver­mit­tel­te. Die Wände waren in einem be­ru­hi­gen­den But­ter­gelb ge­hal­ten. Die wei­ßen Fuß- und So­ckel­leis­ten waren min­des­tens acht Zen­ti­me­ter hoch und ent­hiel­ten De­tails, die einen Tisch­ler­meis­ter ins Schwär­men ver­set­zen könn­ten. Eine etwa fünf­zehn Zen­ti­me­ter brei­te Bor­dü­re aus herr­li­chem Hart­holz um­rahm­ten klei­ne acht­ecki­ge, el­fen­bein­far­be­ne Ka­cheln, die wie ein alt­mo­di­sches Kreuz­stich­mus­ter an­ge­legt waren. „Die­ses Haus ist wun­der­schön.“
„Es ist ein Wahr­zei­chen.“ Ser­gei schloss die Tür hin­ter ihr und ging vor­aus. „So­weit ich weiß, wurde bei der Re­no­vie­rung und den De­tails dar­auf ge­ach­tet, dass sie be­mer­kens­wert nah an der ur­sprüng­li­chen Bau­wei­se von 1867 blie­ben.“
Sie stopp­te neben einem mas­si­ven Ge­mäl­de mit ver­zier­tem Gold­rah­men – das­sel­be Haus, das sie eben erst be­tre­ten hatte, aber in einer an­de­ren Epo­che an­ge­sie­delt. Ir­gend­et­was daran be­ru­hig­te sie. Als ob alle tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­te der Ge­gen­wart in einem ein­zi­gen Mo­ment aus­ge­löscht wor­den wären und das Chaos des So­fort­zu­griffs auf die Welt mit sich ge­ris­sen hätte.
„Kom­men Sie“, sagte er, wäh­rend er neben der ge­schwun­ge­nen Trep­pe stand. „Ich führe Sie herum.“
Es gab nicht viele Dinge, die Evie die Spra­che ver­schlu­gen. Nicht ein­mal ei­ni­ge der schi­cke­ren Häu­ser, die sie be­sucht hatte. Doch die De­tails die­ser Villa lie­ßen sie förm­lich da­hin­schwe­ben und er­in­ner­ten sie an all die ent­zü­cken­den Bil­der aus ver­gan­ge­nen Zei­ten.
Ver­zier­te Kris­tall­kron­leuch­ter. Hand­ge­knüpf­te Tep­pi­che. Ele­gan­te Vor­hän­ge, die vor den gro­ßen Fens­tern hin­gen und am Boden ge­schmack­voll dra­piert waren. All das er­in­ner­te sie an die fran­zö­si­schen Pa­läs­te, die sie sich ein­mal on­line an­ge­se­hen hatte, nur mit einem kreo­li­schen Flair.
„Es han­delt sich um sie­ben Schlaf­zim­mer und acht Bäder“, sagte er, als er aus dem Auf­zug in die Küche trat. „Diese Räume er­for­dern re­gel­mä­ßi­ge Rei­ni­gung, eben­so wie der Ball­saal und die Wohn­räu­me. Es gibt einen Haus­meis­ter und eine Kö­chin, deren Auf­ga­ben Sie ko­or­di­nie­ren müs­sen.“
Sie würde was?
Sie blieb hin­ter ihm ste­hen. „Mr. Pe­tro­vyh.“
„Ser­gei.“
Sie nick­te. „Ser­gei.“ Evie be­trach­te­te die erst­klas­si­gen Gra­nit­ar­beits­flä­chen mit den hoch­wer­ti­gen Edel­stahl­ge­rä­ten. All­mäh­lich ließ die Fas­zi­na­ti­on nach, die sie bis­her so in den Bann ge­zo­gen hatte. Je­den­falls so weit, dass sie end­lich wie­der das Ruder in die Hand neh­men konn­te. „Warum bin ich hier?“
„Ich zeige Ihnen das Haus und teile Ihnen meine Er­war­tun­gen mit.“
So, wie er das sagte, lag da ein ge­wis­ser Un­ter­ton in sei­ner Stim­me, der be­sag­te: Sei nicht dumm! Den­noch konn­te sie den rie­si­gen Ele­fan­ten im Raum beim bes­ten Wil­len nicht sehen. „Und das tun Sie, weil …?“
Er ver­grub seine Hände in den Ho­sen­ta­schen und neig­te den Kopf ein wenig zur Seite, wäh­rend in sei­nen Augen die Her­aus­for­de­rung schim­mer­te. „Sie woll­ten einen Job, Evet­te. Seit einer Vier­tel­stun­de sind die­ses An­we­sen und alles, was damit zu tun hat, of­fi­zi­ell genau das.“ Ohne auf eine Er­wi­de­rung zu war­ten, dreh­te er sich um und schlen­der­te zur Hin­ter­tür der Küche. „Kom­men Sie hier ent­lang, ich zeige Ihnen das rest­li­che Ge­län­de und den Pool.“
Sie folg­te ihm, ohne einen ein­zel­nen kla­ren Ge­dan­ken zu­stan­de zu brin­gen, zu fas­sungs­los über seine bei­läu­fi­ge Er­klä­rung, um auch nur dar­auf zu kom­men, Ein­spruch ein­zu­le­gen. In der Se­kun­de, als sie den hin­te­ren Gar­ten­be­reich sah, setz­te ihr Ge­hirn voll­kom­men aus, und sie ak­zep­tier­te die Tat­sa­che, dass nichts mehr einen Sinn ma­chen würde. Zu­min­dest nicht, bis sie die Ge­le­gen­heit hätte, sich hin­zu­set­zen und ihrem Ver­stand Zeit zu geben, das alles zu ver­ar­bei­ten.
Per­fekt ge­trimm­te He­cken form­ten eine klas­si­sche Be­gren­zung um den kris­tall­kla­ren Pool, und das Gras, das sich über die ge­sam­te Rück­sei­te er­streck­te, war golf­platz­wür­dig. Eine Ba­lus­tra­de trenn­te die er­höh­te Stein­ter­ras­se von einem ge­schwun­ge­nen Plat­ten­weg aus Sand­stein zum Pool. Mar­mor­sta­tu­en, die wahr­schein­lich aus Ita­li­en im­por­tiert wor­den waren, schmück­ten die vie­len bun­ten Blu­men­bee­te, die wirk­lich alles – von Chi­ne­si­scher Kräu­sel­myr­te bis zu Ro­sen­bü­schen – be­her­berg­ten.
Ser­gei be­en­de­te seine Li­ta­nei an In­struk­tio­nen, von denen sie kein ein­zi­ges Wort ge­hört hatte, stemm­te seine Hände in die Hüf­ten und blieb ihr ge­gen­über ste­hen. „Ir­gend­wel­che Fra­gen?“
Könn­ten Sie das alles noch mal wie­der­ho­len?
Be­son­ders den Teil, bei dem ich die­ses An­wei­sen hier leite?
Das wäre si­cher­lich nicht die cle­vers­te Ant­wort, wenn man die sich bie­ten­de Ge­le­gen­heit be­trach­te­te. Ehr­lich­keit war ja gut und schön, aber manch­mal brauch­te ein Mäd­chen etwas Zeit, um aus der Rea­li­tät schlau zu wer­den. „Ich habe eine Tonne von Fra­gen, es wird al­ler­dings wohl eine Weile dau­ern, bis sie Ge­stalt an­neh­men.“
Er nick­te ein­mal kurz, als wäre ihre Er­wi­de­rung nicht nur ak­zep­ta­bel, son­dern als hätte er nichts an­de­res er­war­tet. Ser­gei dreh­te sich um und ging auf ein Ge­bäu­de zu, das auf der an­de­ren Seite des Gar­tens und am Ende der Ein­fahrt lag. „Gut, dann fol­gen Sie mir und wir wer­den über Ihr Ge­halt reden.“
Für einen kur­zen Mo­ment mach­te sich ihr prak­ti­scher Ver­stand für die Ver­hand­lun­gen be­reit, wurde aber schnell von ihrer Neu­gier bei­sei­te­ge­scho­ben, als sie sich dem al­lein ste­hen­den Ge­bäu­de nä­her­te. „Was ist hier drin?“
„Es ist das Kut­scher­haus.“ Er öff­ne­te die ma­le­risch ge­stal­te­te Hol­land­tür, die als Haupt­ein­gang dien­te, und ging ihr vor­aus. Im Ge­gen­satz zum Haupt­haus hatte sich der ehe­ma­li­ge Be­sit­zer hier ei­ni­ge Frei­hei­ten her­aus­ge­nom­men. Es besaß immer noch den glei­chen Charme wie alles an­de­re, aber mit we­sent­lich mehr mo­der­nen De­tails.
Wun­der­schön.
Ab­so­lut atem­be­rau­bend.
Ver­sie­gel­te Holz­bö­den. Weiß ge­tünch­te Wände. Eine opu­len­te Holz­trep­pe mit schmie­de­ei­ser­nen De­tails im Ge­län­der. All dies wurde mit Ge­rä­ten, die auf dem neus­ten Stand der Tech­nik waren, und rus­ti­ka­len Ak­zen­ten un­ter­stri­chen. Es wirk­te wie ein Land­haus, das sich gegen die Mo­der­ne ge­wehrt hatte.
Sie schlen­der­te durch den Wohn- und Ess­be­reich mit sei­nen hohen De­cken und blieb an einem lan­gen Ess­tisch mit einer Sitz­bank auf einer Seite ste­hen. Evie blick­te hin­auf zur of­fe­nen Ga­le­rie, von der aus zwei Schlaf­zim­mer ab­zweig­ten. „Wer wohnt hier?“
„Sie woh­nen hier, Ms. La­ba­die.“ Er nahm einen gro­ßen brau­nen Um­schlag vom Tisch und schüt­te­te den In­halt aus – einen klei­nen Sta­pel Pa­pie­re, die an einer Ecke zu­sam­men­ge­ta­ckert waren, einen di­cken wei­ßen Brief­um­schlag, einen Satz Schlüs­sel und einen Ku­gel­schrei­ber. Ser­gei hob den di­cken Um­schlag auf und reich­te ihn ihr. „Sie er­hal­ten na­tür­lich einen Bonus für die Un­ter­zeich­nung des Ver­tra­ges und Zeit, sich um die Schul­an­mel­dung für Emer­son zu küm­mern. Da­nach wer­den meine Män­ner Ihnen beim Umzug hel­fen.“
Evie hörte die Worte. Sie wuss­te tief im In­nern, dass sie sich end­lich zu­sam­men­rei­ßen muss­te, um das alles zu ver­ar­bei­ten, al­ler­dings war sie zu nichts an­de­rem im Stan­de, als die Schlüs­sel auf dem Tisch vor ihr an­zu­star­ren.
„Ich soll hier woh­nen?“
„Eine Be­din­gung des Jobs. Nicht ver­han­del­bar.“
Ein Platz zum Woh­nen.
Ein wirk­lich ab­so­lut ver­flucht schö­ner dazu.
Einer, bei dem sie sich nicht stän­dig dar­über Sor­gen ma­chen muss­te, dass Emer­son auf dem Weg von der Schu­le nach Hause ge­tö­tet oder re­kru­tiert wurde, sich einer Gang an­zu­schlie­ßen.
Sie war ge­neigt, nach den Schlüs­seln zu grei­fen, doch statt­des­sen zog sie den Sta­pel Pa­pie­re zu sich.
Ein Ver­trag.
Zah­len und De­tails zeich­ne­ten sich zwi­schen der Ju­ris­ten­spra­che ab. Ein­tau­send Dol­lar pro Woche. Miete und Ne­ben­kos­ten als Teil des Pa­kets in­klu­si­ve. Drei Wo­chen Ur­laub. Kran­ken­ver­si­che­rung.
Und alles, was sie dafür tun muss­te, war, das Haus sau­ber zu hal­ten und die Ar­bei­ten der an­de­ren Dienst­leis­ter zu ko­or­di­nie­ren.
Das war groß­ar­tig.
Genau die Ver­än­de­rung, die sie brauch­te, um Emer­son das Leben er­mög­li­chen zu kön­nen, das er ver­dient hatte, und ihre Kar­rie­re wie­der in die Spur zu brin­gen.
„Mr. Pe­tro­vyh …“ Sie leck­te sich über die Un­ter­lip­pe und blick­te auf den Ver­trag. Es gab Ge­schäf­te, die ein­fach zu gut waren, um wahr zu sein, und sie wäre ver­flucht naiv, wenn sie nicht ihren Teil dazu bei­tra­gen würde, her­aus­zu­fin­den, ob die­ses hier eins davon war. Sie zwang sich, ihn di­rekt an­zu­se­hen. „Wes­sen Haus ist das hier?“
Sein Grin­sen war das eines Wol­fes. Eines hung­ri­gen, ge­ris­se­nen und ver­nich­tend schö­nen Wol­fes. „Meins.“
Die­ses Ein­ge­ständ­nis hätte sie ei­gent­lich er­schre­cken müs­sen. Es hätte sie di­rekt aus der Tür jagen müs­sen und zu­rück zur Stra­ßen­bahn, mit der sie her­ge­kom­men war. Statt­des­sen blieb sie wie ver­stei­nert, wo sie war, und schick­te ein Gebet um Ver­ständ­nis gen Him­mel.
„Ist das ein Pro­blem, Ms. La­ba­die?“
Für einen rus­si­schen Ma­fio­so zu ar­bei­ten?
Mit ihm zu leben?
Nun, nicht mit ihm. Je­den­falls nicht ganz. Doch bei nä­he­rer Be­trach­tung muss­te sie sich die Frage stel­len, wie hoch wohl die Wahr­schein­lich­keit von um­her­flie­gen­den Ku­geln und Ent­füh­rung sein könn­te. Sie schob den Ver­trag vor sich hin und her. „Ich wuss­te nur nicht … Ich wuss­te nicht, dass eine Un­ter­kunft in­be­grif­fen ist. Oder dass ich für Sie ar­bei­ten würde.“
Er pirsch­te sich von sei­ner Seite des Ti­sches bis zum Ende heran, um­run­de­te ihn und kam di­rekt auf sie zu. Die Art, wie er sie dabei mit die­sen tief­blau­en Augen ansah, mach­te ihr klar, warum die Beute eines Raub­tie­res nicht flüch­ten konn­te. Sie war zu fas­zi­niert, von der Schön­heit des Jä­gers voll­kom­men ge­fan­gen, um sich selbst zu schüt­zen. „Ich bin ein sehr an­spruchs­vol­ler Ar­beit­ge­ber, Ms. La­ba­die. Ich er­war­te viel von den­je­ni­gen, die für mich ar­bei­ten. Als Ge­gen­leis­tung für ihre Fä­hig­kei­ten und Loya­li­tät biete ich eine aus­ge­zeich­ne­te Ver­gü­tung. Aber miss­ver­ste­hen Sie eins nicht …“ Er schob ihr den Ver­trag wie­der hin. Tä­to­wie­run­gen zier­ten die Spit­zen sei­ner Fin­ger – selt­sa­me Sym­bo­le, die für sie kei­nen Sinn er­ga­ben, und kom­pli­zier­te Mus­ter, die sich um seine Hand­ge­len­ke schlan­gen, bevor sie unter den Hemd­är­meln ver­schwan­den. „Dies hier ist meine Welt und Sie wer­den nach mei­nen Re­geln spie­len.“
Da war es. Eine War­nung und ein Ul­ti­ma­tum, alles in einem. Das An­ge­bot war groß­zü­gig. Mehr als das. Wenn sie es an­neh­men würde, hätte sie end­lich einen Aus­weg aus den nicht enden wol­len­den Pro­ble­men, die sie selbst ver­ur­sacht hatte, als sie vol­ler Trau­er um ihre Mut­ter vom Weg ab­ge­kom­men und schwan­ger ge­wor­den war.
Aber dafür würde sie einem sehr ge­fähr­li­chen Mann eine Menge schul­den. Mehr als das, sie würde nicht nur dem Teu­fel etwas schul­den. Sie würde mit ihm zu­sam­men­le­ben. Und damit ging auch eine ge­wis­se Ge­fahr ein­her. „Ich habe einen Sohn. Ich habe die Ver­ant­wor­tung für ihn. Ich kann nicht …“ Sie schluck­te hart, ver­such­te, einen Weg zu fin­den, ihren Be­den­ken Aus­druck zu ver­lei­hen, ohne ihn zu be­lei­di­gen.
Keine leich­te Auf­ga­be, wenn al­lein der Ge­dan­ke daran, was sie ge­ra­de in Er­wä­gung zog, sie zu Tode er­schreck­te.
Of­fen­sicht­lich stand ihr diese Angst förm­lich ins Ge­sicht ge­schrie­ben, denn er be­ant­wor­te­te die un­aus­ge­spro­che­ne Frage den­noch. „Ihnen wird kein Leid zu­ge­fügt. Auch nicht Emer­son. Die­je­ni­gen, die für mich ar­bei­ten, sind un­an­tast­bar.“
Un­an­tast­bar.
Aus­ge­spro­chen mit ab­so­lu­ter Über­zeu­gung.
Eine un­zer­brech­li­che End­gül­tig­keit, die mit der Sub­ti­li­tät eines Richter­ham­mers durch den schö­nen Raum hall­te.
Die Logik sagte ihr, dass er das gar nicht ga­ran­tie­ren konn­te. Aber wenn sie die Ent­schlos­sen­heit in sei­nen Ge­sichts­zü­gen be­trach­te­te und die Art, wie un­er­bitt­lich er sei­nen ein­drucks­vol­len Kör­per po­si­tio­nier­te, kam ihr in den Sinn, dass selbst das Schick­sal es sich wohl lie­ber zwei­mal über­le­gen würde, sich mit ihm an­zu­le­gen.
Mit zitt­ri­gen Hän­den hob sie den Ver­trag an und be­gann, ihn zu lesen, zwang sich dies­mal dazu, jedes ein­zel­ne De­tail davon zu ver­in­ner­li­chen.
Ser­gei ver­hielt sich voll­kom­men ruhig. Keine un­aus­ge­spro­che­nen oder aus­ge­spro­che­nen Ver­su­che, sie zu einer Ent­schei­dung zu drän­gen. Er wirk­te nur wie ein ge­dul­di­ger Jäger, der auf seine auf­ge­stell­te Falle ver­trau­te.
Der Bonus für die Ver­trags­un­ter­zeich­nung würde mehr als rei­chen, um Emer­sons Platz an der Schu­le zu ga­ran­tie­ren. Am Ende jeder Woche hätte sie sogar genug Geld übrig, um ihre ei­ge­ne Schul­bil­dung zu fi­nan­zie­ren. Emer­son wäre in der Lage, in einer si­che­ren Ge­gend zur Schu­le zu gehen, und sie hätte abends Zeit, mehr als einen Kurs pro Se­mes­ter zu be­su­chen.
Ein Flat­tern brei­te­te sich in ihrem Magen aus, und ihre Arme fühl­ten sich so leicht an, dass sie tat­säch­lich pri­ckel­ten.
Hoff­nung.
Es war Jahre her, seit sie sie ge­fühlt hatte. Sie hat­ten den Glau­ben daran schon auf­ge­ge­ben, dass eine sol­che Chan­ce je­mals auf sie zu­kom­men würde. Aber die Chan­ce war jetzt hier, wenn sie mutig genug war, sie an­zu­neh­men.
Do­ro­thy hatte ihm ver­traut und Ser­gei hatte all seine Ver­spre­chen ge­hal­ten. Er hatte die Schlä­ger aus­ra­diert, die ihr Diner über­rannt und sie täg­lich be­droht hat­ten.
Ihr Blick glitt zu dem Ku­gel­schrei­ber, der auf dem Tisch lag. Es war kein ge­wöhn­li­cher Stift. Eher eines die­ser sil­ber­nen Din­ger, die wahr­schein­lich Hun­der­te von Dol­lar kos­te­ten. Sie nahm ihn auf und das Me­tall fühl­te sich herr­lich kühl an ihren Fin­gern an. Das Knis­tern der Pa­pie­re, als sie auf die letz­te Seite blät­ter­te, war im of­fe­nen Raum in dem an­sons­ten stil­len Mo­ment über­deut­lich zu hören. Ehe sie sich ver­sah, starr­te sie auf ihre Un­ter­schrift.
Evet­te La­ba­die.
Jede Linie ele­gant und gut geübt. Eine Un­ter­schrift, von der sie ein­mal ge­schwo­ren hatte, sie dazu zu nut­zen, um große Dinge zu ver­ein­ba­ren.
Damit hatte sie nicht falsch­ge­le­gen. Sie hatte sich nur nicht vor­ge­stellt, dass es bei einem Ge­schäft sein würde, das sie alles kos­ten könn­te.
Beim Auf­ste­hen blät­ter­te sie die Pa­pie­re wie­der zu­rück und über­reicht sie dann Ser­gei.
Er nahm sie ent­ge­gen, und sein ru­hi­ges Durch­blät­tern ließ ihn wir­ken wie einen zu­frie­de­nen Mann, der ge­ra­de genau das, was er woll­te, in Ze­ment ge­gos­sen hatte. „Eine kluge Wahl, Ms. La­ba­die.“ Er neig­te sei­nen Kopf auf eine Art, die sich wie ein for­ma­les Ri­tu­al an­fühl­te, be­hielt dabei je­doch stets den Au­gen­kon­takt zu ihr. So­bald er sich wie­der auf­ge­rich­tet hatte, war der an­ge­spann­te Mo­ment vor­bei und wurde er­setzt durch seine an­ma­ßen­de Selbst­si­cher­heit, die er be­reits den ge­sam­ten Mor­gen über zur Schau ge­tra­gen hatte.
Er ging zur Tür, wäh­rend er sein ers­tes Kom­man­do als Ar­beit­ge­ber an sie rich­te­te. „Gehen Sie. Küm­mern Sie sich um Ihren Sohn und seine Schu­le. Sie haben heute Zeit, um­zu­zie­hen; meine Män­ner ste­hen Ihnen zur Ver­fü­gung. Mor­gen be­gin­nen Sie mit Ihren re­gu­lä­ren Auf­ga­ben.“
In der ge­öff­ne­ten Tür hielt er inne, mus­ter­te sie von Kopf bis Fuß, hob eine Au­gen­braue und grins­te. „Das ist eine große Auf­ga­be, Ms. La­ba­die. Ich schla­ge vor, Sie ma­chen sich bes­ser an die Ar­beit.“

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