Arizona Vengeance Eishockey-Team: Tacker

Ori­gi­nal­ti­tel: Ta­cker: An Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Novel
Über­set­zer: Joy Fra­ser

Er­schie­nen: 04/2022
Serie: Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team
Teil der Serie: 5

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Sport Ro­mance

Lo­ca­ti­on: USA, Ari­zo­na, Pho­enix


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-546-4
ebook: 978-3-86495-547-1

Preis:
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ebook: 6,99 €[D]

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Arizona Vengeance Eishockey-Team: Tacker


In­halts­an­ga­be

Es geht mir schlecht. Vor fünf­zehn Mo­na­ten wurde mein Leben auf den Kopf ge­stellt, als das Flug­zeug ab­stürz­te, das ich selbst ge­flo­gen hatte. Ver­letzt und im Wrack ein­ge­klemmt, muss­te ich hilf­los zu­se­hen, wie meine Ver­lob­te einen lang­sa­men und qual­vol­len Tod starb. 

Seit die­sem Tag lebe ich in der Hölle und habe kei­ner­lei An­trieb mehr. Außer, Eis­ho­ckey zu spie­len. Nur auf dem Eis dabei kann ich die schreck­li­chen Er­in­ne­run­gen hin­ter mir las­sen und dem Schmerz ent­kom­men. Au­ßer­halb des Eises ge­ra­te ich immer mehr außer Kon­trol­le. Ich ver­lie­re den Halt im Leben, brin­ge mich selbst in Ge­fahr und setze meine Kar­rie­re aufs Spiel. Jetzt wurde mir eine The­ra­pie ver­ord­net, um im Team blei­ben zu dür­fen.

Das Pro­blem dabei? Ist meine un­kon­ven­tio­nel­le The­ra­peu­tin Nora Wayne. Ich kann ihr den gan­zen al­ber­nen Mist nicht ab­kau­fen. Wie könn­te sie auch ver­ste­hen, was ich durch­ma­che? Woher will sie wis­sen, wie man wie­der glück­lich wird, nach­dem man den wich­tigs­ten Mensch im Leben ver­lo­ren hat?
Doch ich habe eine Menge zu ler­nen, und sie ist genau die Per­son, meine Mau­ern ein­zu­rei­ßen. 
Es geht mir schlecht. 

Doch zum ers­ten Mal weiß ich, dass sich das än­dern könn­te. 

Über die Au­to­rin

Seit ihrem De­büt­ro­man im Jahr 2013 hat Sa­wy­er Ben­nett zahl­rei­che Bü­cher von New Adult bis Ero­tic Ro­mance ver­öf­fent­licht und es wie­der­holt auf die Best­sel­ler­lis­ten der New York Times und USA Today ge­schafft.
Sa­wy­er nutzt ihre Er­fah­run­gen als ehe­ma­li­ge Straf­ver­tei­di­ge­rin in...

Wei­te­re Teile der Ari­zo­na Ven­ge­an­ce Eis­ho­ckey-Team Serie

Le­se­pro­be

Nora

Ich lehne mich auf dem Bü­ro­stuhl zu­rück, lege die Füße mit den Stie­feln auf den Schreib­tisch und star­re an die Decke. Jeden Mo­ment wird Ta­cker zur ers­ten rich­ti­gen Sit­zung hier sein, und ich schwan­ke noch, wie ich ihn an­pa­cken soll.
Vor­ges­tern Abend habe ich ihn nach dem Abend­es­sen mit Raul ge­goo­gelt. Ich fand eine Menge an In­for­ma­tio­nen, die mir zeig­ten, was mit ihm los ist. Als Ers­tes er­fuhr ich, dass er eine Eis­ho­ckey-Grö­ße ist. Ein er­fah­re­ner Spie­ler, der frü­her oder spä­ter in der Hall of Fame lan­den wird. Ich weiß nicht viel über Eis­ho­ckey, aber ich habe genug ge­le­sen, um...

...​zu wis­sen, dass er wegen sei­nes Ta­lents mehr als ge­schätzt wird. In ei­ni­gen Ar­ti­keln der Zei­tung von Pho­enix stand, dass es eine der bes­ten Ent­schei­dun­gen in der Ge­schich­te des Sports ge­we­sen sei, Ta­cker in das Team der Ven­ge­an­ce zu holen. Das große Ri­si­ko die­ses Schrit­tes wurde mir erst klar, als ich mich noch tie­fer ein­las. Und da fand ich auch den Grund für seine Qua­len.
Vor un­ge­fähr fünf­zehn Mo­na­ten flog Ta­cker mit sei­ner ei­ge­nen klei­nen Ma­schi­ne von Dal­las nach Hous­ton. Er woll­te seine Ver­lob­te zur An­pro­be ihres Hoch­zeits­klei­des brin­gen. Zwei Wo­chen spä­ter woll­ten sie hei­ra­ten. Es gab eine Fehl­funk­ti­on der In­stru­men­te und er konn­te im Nebel den Ho­ri­zont nicht mehr be­stim­men. Da er sich nicht ori­en­tie­ren konn­te, dreh­te er die Ma­schi­ne auf den Kopf. Er über­leb­te, aber seine Ver­lob­te nicht.
Aus den Ar­ti­keln ging her­vor, dass er den Rest der Sai­son aus­setz­te, doch der wahre Grund dafür wurde nicht spe­zi­fi­ziert. Es hät­ten kör­per­li­che Grün­de sein kön­nen. Doch ich schät­ze, dass er emo­tio­nal nicht mehr zum Spie­len in der Lage war.
Am Ende der Sai­son tausch­te man ihn ins Team der Ari­zo­na Ven­ge­an­ce, was als ris­kan­tes Un­ter­fan­gen des Teams be­ur­teilt wurde. Ent­we­der hat­ten sie einen echt groß­ar­ti­gen dy­na­mi­schen Spie­ler er­gat­tert oder eine Be­las­tung. An­schei­nend eine Mi­schung aus bei­dem. Seine mo­men­ta­nen Spiel­sta­tis­ti­ken schei­nen zu be­le­gen, dass er einer der Top­spie­ler der Liga ist. Zu­min­dest nach dem, was ich ge­le­sen habe. Den­noch hat man ihn zu mir ge­schickt, damit er eine The­ra­pie macht, um im Team blei­ben zu dür­fen.
Die letz­te wich­ti­ge Info fand ich in einem Ar­ti­kel, der be­rich­te­te, dass Ta­cker vor ein paar Wo­chen mit dem Auto gegen eine Mauer ge­fah­ren war. Be­trun­ken.
Dar­auf wer­den wir näher ein­ge­hen müs­sen.
Um Punkt drei Uhr klopft es de­zent an mei­ner Tür. „Kom­men Sie rein“, rufe ich und stehe auf.
Die Tür schwingt auf und Ta­cker Hall kommt her­ein. Er ist ähn­lich ge­klei­det wie das letz­te Mal. Jeans, T-Shirt und Snea­kers. Er ist frisch ra­siert und hat eine Base­ball­müt­ze in der Hand. Kurz nickt er mir zur Be­grü­ßung zu und ich lä­che­le. Er wirkt, als ob er so­eben zum Scha­fott ge­führt wor­den wäre.
„Wie ner­vös sind Sie?“, frage ich. „Denn wir kön­nen auch erst aus­rei­ten. Ich nenne es Reden im Sat­tel. Das wirkt be­ru­hi­gend.“
„Ich bin kein Pfer­de­typ“, knurrt er an­ge­spannt.
„Ich habe ein paar sehr fried­li­che“, ver­si­che­re ich ihm. „Sie lau­fen ein­fach nur lang­sam vor sich hin.“
Ta­cker zer­drückt die Base­ball­kap­pe in sei­nen Hän­den, ant­wor­tet je­doch nicht. Er sieht sich im Büro um, doch das ist nur eine Ver­zö­ge­rungs­tak­tik. Hier gibt es nicht viel zu sehen.
„Ich habe über Sie ge­le­sen“, sage ich. Er sieht mich an und ver­engt leicht die Augen. „Ich weiß jetzt von dem Ab­sturz und Ihrer Ver­lob­ten. Von der Sus­pen­die­rung durchs Team. Alles.“
Damit will ich ihn dazu brin­gen, sich der Rea­li­tät zu stel­len. Er muss be­grei­fen, dass er ir­gend­wo an­fan­gen muss. Ich rei­che ihm damit die Hand und schaue mal, ob er sie er­greift. Das ist ein kras­ser Be­ginn und nor­ma­ler­wei­se würde ich an­ders an­fan­gen, doch Ta­cker hat klar­ge­stellt, dass er von mei­nen sanf­ten „eso­te­ri­schen“ Me­tho­den nichts hält. Er be­vor­zugt klare, un­ver­blüm­te Worte.
Ta­cker geht zu einem der Be­su­cher­stüh­le, setzt sich hin und si­gna­li­siert damit, dass er nicht aus­rei­ten will. Ich setze mich wie­der auf mei­nen Bü­ro­stuhl hin­ter dem Schreib­tisch.
Als er wie­der spricht, ist es nicht das, was ich er­war­tet habe.
„Ich habe Sie auch ge­goo­gelt“, sagt er leise. „Aber nicht viel ge­fun­den.“
„Meine Bio be­fin­det sich auf der Web­sei­te.“ Das meint er je­doch si­cher nicht.
Ta­cker schüt­telt den Kopf und sieht mir in die Augen. „Raul hat ge­sagt, dass Ihnen etwas Schreck­li­ches pas­siert ist.“
Aha. Raul, die­ser Ver­rä­ter.
Ich nicke und lä­che­le auf­rich­tig, damit er er­kennt, dass ich es Raul nicht übel nehme. Ich habe nichts zu ver­ber­gen und meine Ver­gan­gen­heit hilft mir sehr bei mei­ner Ar­beit als The­ra­peu­tin. „Wür­den Sie sich bes­ser füh­len, wenn Sie etwas dar­über wüss­ten?“ Ich möch­te nicht ein­fach an­neh­men, was er braucht.
Über­rascht blin­zelt er und zuckt leicht zu­rück. „Nein. Ich woll­te nicht neu­gie­rig sein oder so. Ich kaufe Ihnen nur das ganze Ge­re­de von Glück und Hoff­nung nicht ab. Der alte Typ …“
„Raul. Ich werde Sie dem­nächst mit ihm be­kannt ma­chen.“
„Kann es kaum er­war­ten.“ Er ver­zieht das Ge­sicht. „Ein char­man­tes Kerl­chen.“
Ich kann ein La­chen nicht zu­rück­hal­ten. Raul kann sehr char­mant sein, aber auch ein rich­ti­ger Arsch, wenn er will. „Er ist der beste Mann, den ich kenne“, sage ich mit Über­zeu­gung und zeige ihm damit, dass ich sehr loyal mei­nem Freund ge­gen­über bin.
Ta­ckers Aus­druck wirkt des­in­ter­es­siert, als hätte er keine Lust, über Raul zu reden. „Was ist Ihnen denn pas­siert?“, spuckt er aus.
Wie­der über­rascht er mich. Er will es wirk­lich wis­sen. Er glaubt, dass meine glück­li­che Aus­strah­lung ent­we­der ge­spielt ist oder dass mein Trau­ma wohl nicht so schlimm ge­we­sen sein kann. Zwar muss ich mich nicht für meine Ver­gan­gen­heit recht­fer­ti­gen, doch ich habe das Ge­fühl, dass ich damit die Tür zu ge­gen­sei­ti­gem Ver­trau­en bei Ta­cker öff­nen könn­te.
Ich er­he­be mich vom Stuhl und zeige zum Aus­gang. „Kom­men Sie, gehen wir ein Stück.“
Ta­cker steht eben­falls auf, wirkt aber un­si­cher. „Ich brau­che kei­nen Spa­zier­gang. Ich fühle mich hier wohl genug.“
„Sie viel­leicht.“ Ich lä­che­le ihn an. „Aber Sie möch­ten wis­sen, was mir ge­sche­hen ist, und auch wenn ich hart daran ge­ar­bei­tet habe, das Trau­ma zu über­win­den, tut es trotz­dem noch weh. Ich bin gern drau­ßen. Dort habe ich mehr Frie­den.“
Leicht pa­nisch schüt­telt Ta­cker den Kopf. „Sie müs­sen mir nichts er­zäh­len.“
Ich gehe um den Schreib­tisch herum, lege eine Hand auf Ta­ckers un­te­ren Rü­cken und schie­be ihn sanft zur Tür. „Oh doch. Das muss ich.“

Ich führe Ta­cker an den klei­nen Kop­peln und dem Stall vor­bei auf den Pfad, den wir mit den Pfer­den be­nut­zen. Mo­men­tan ste­hen keine Aus­rit­te an, so­dass wir ganz al­lein sind. Der Pfad führt durch stei­ni­ges Ge­län­de über sanf­te Hügel. Zur Ranch ge­hö­ren vier­zig Hekt­ar Land, auf dem rie­si­ge Sa­gua­ro-Kak­te­en wach­sen, Mes­qui­te­bäu­me, Palo Ver­des und ame­ri­ka­ni­sche Hain­bu­chen.
Wir gehen un­ge­fähr einen hal­ben Ki­lo­me­ter und wäh­rend­des­sen er­zäh­le ich ihm die Ge­schich­te der Ranch. Dass ich sie er­stei­gert habe und dass es mein Traum war, mit den Pfer­den Men­schen zu hel­fen, die sich hin­ter ihren Mau­ern ver­schan­zen. Als ich über die Flora und Fauna der So­no­ra-Wüs­te spre­che, freue ich mich über seine Fra­gen. Ich habe sein In­ter­es­se ge­weckt und möch­te er­rei­chen, dass er sich ent­spannt.
„Ach­ten Sie auf Klap­per­schlan­gen und Skor­pio­ne“, sage ich ne­ckend.
Ta­cker macht einen er­schro­cke­nen Satz zur Seite, als hätte ich eins der Tiere ent­deckt, und sieht mich fins­ter an. „Ich dach­te, der Spa­zier­gang soll mich be­ru­hi­gen.“
La­chend tät­sche­le ich sei­nen Arm und gehe wei­ter. „Stimmt. Aber ich trage Stie­fel und mache mir keine Sor­gen. Ihre Knö­chel sind al­ler­dings in die­sen Schu­hen ziem­lich frei.“ Wie­der die­ser fins­te­re Blick. Ich muss er­neut la­chen. „Ich habe nur Spaß ge­macht. Sämt­li­che Tiere, die bei­ßen könn­ten, hal­ten sich nicht auf dem Pfad auf. Er wird oft be­nutzt, und die haben mehr Angst vor Ihnen als Sie vor denen.“
Das scheint ihn nicht wirk­lich zu über­zeu­gen, doch er geht wei­ter.
Ich hebe einen alten Stock vom Pfad auf und nehme ihn mit. Falls wir auf eine träge Schlan­ge sto­ßen, die ich aus dem Weg schie­ben muss. Doch das werde ich Ta­cker lie­ber nicht sagen.
„Okay.“ Ich atme tief durch. „Sie möch­ten mehr über mich wis­sen.“
Er sagt nichts, was ich als stil­le Auf­for­de­rung ver­ste­he, wei­ter­zu­spre­chen. „Ich wurde in Al­ba­ni­en ge­bo­ren, aber als ich noch sehr klein war, zogen meine El­tern ins Dre­ni­ca-Tal im Zen­tral-Ko­so­vo. Ich kann mich an Al­ba­ni­en nicht er­in­nern.“
„Jetzt ist Ihr Ak­zent wie­der deut­li­cher zu hören“, sagt er.
Ich nicke. Es ist nie leicht, über das Thema zu reden. „Wis­sen Sie etwas über den Krieg im Ko­so­vo?“
Ta­cker schüt­telt den Kopf und senkt den Blick. „Nicht wirk­lich. Nur, was ich hier und da in den Nach­rich­ten ge­hört habe.“
„Spielt auch keine Rolle. Je­den­falls war ich elf, als der Krieg nach Dre­ni­ca kam. Da­mals hieß ich Nora Cer­va­di­ku, und mein Groß­va­ter und Vater ge­hör­ten einer al­ba­ni­schen Grup­pe im Ko­so­vo an, die gegen die Ser­ben kämpf­ten, die diese Re­gi­on kon­trol­lier­ten. Ich hatte eine fünf­zehn­jäh­ri­ge Schwes­ter, Bes­ja­na, und einen sie­ben­jäh­ri­gen Bru­der, Pje­ter. Ob­wohl Bes­ja­na nur vier Jahre älter war als ich, war sie wie eine Mut­ter für mich, nach­dem un­se­re Mut­ter bei Pje­ters Ge­burt ge­stor­ben war.“
„Das tut mir leid“, sagt Ta­cker leicht ver­le­gen.
Ich lä­che­le ihm zu und fahre fort. „Nie werde ich den drit­ten März ver­ges­sen. Mei­nen Ge­burts­tag. Wie ge­sagt, ich war elf. Bes­ja­na hatte mir ver­spro­chen, Shen­det­lie zu ma­chen, mei­nen Lieb­lings­nach­tisch.“
„Aber dazu kam es nicht.“ Ta­cker bleibt ste­hen und sieht mich an.
„Nein, dazu kam es nicht.“ Ich bli­cke in die Ferne. Die Sonne steht tief über den Hü­geln. Ich sehe Ta­cker an und er­zäh­le es ihm. „Ser­bi­sche Ein­hei­ten stürm­ten den Ort und gin­gen von Haus zu Haus, auf der Suche nach Mit­glie­dern der Re­bel­len­grup­pe. Meine ganze Fa­mi­lie wurde auf den Markt­platz ge­bracht, zu­sam­men mit an­de­ren ver­däch­ti­gen Fa­mi­li­en. Sie trenn­ten die Män­ner von den Frau­en und er­schos­sen alle Män­ner.“
„Auch …“, sagt Ta­cker, spricht es aber nicht aus.
„Ja, auch mei­nen sie­ben­jäh­ri­gen Bru­der Pje­ter.“
„Fuck“, knurrt er und steckt die Hände in seine Jeans­ta­schen.
Mich be­rührt sein sicht­ba­res Mit­ge­fühl. Ich schät­ze, dass er schon eine ganze Weile nicht mehr seine Ge­füh­le ge­zeigt hat. Ich räus­pe­re mich, denn es wird noch schlim­mer. „Meine Schwes­ter und ich wur­den den Sol­da­ten über­ge­ben. Bes­ja­na wurde mehr­fach ver­ge­wal­tigt, oft di­rekt vor mei­nen Augen und von meh­re­ren Män­nern. Ich muss­te für alle ko­chen und put­zen.“
„Jesus.“ Ta­cker tritt einen Schritt näher und hält ab­rupt an. Er scheint nicht zu wis­sen, wie er mich trös­ten könn­te, also lä­che­le ich zu­ver­sicht­lich und er­lö­se ihn von die­ser Bürde.
„Eines Abends woll­te sich ein Sol­dat wie­der an Bes­ja­na her­an­ma­chen. Ich konn­te es nicht mehr er­tra­gen. Mir war egal, ob ich mich selbst in Ge­fahr brach­te, und schrie ihn an, er solle sie in Ruhe las­sen. Er lach­te nur. Mach­te sich über mich lus­tig. Er ging so weit, mir die Pis­to­le in die Hand zu geben und mir zu be­feh­len, ihn zu er­schie­ßen, wenn ich woll­te, dass er auf­hör­te.“
Ta­cker gibt einen ent­setz­ten Laut von sich und sieht aus, als ob ihm übel wäre.
„Ich konn­te es nicht tun“, gebe ich zu, ohne den Blick zu sen­ken. In den Jah­ren mei­ner Hei­lung habe ich ge­lernt, mit die­ser Schan­de zu leben. „Ich hatte sol­che Angst, nicht zu tref­fen. Dass mich ein an­de­rer Sol­dat dafür er­schie­ßen würde. Egal, warum, ich konn­te es nicht tun. Ich konn­te Bes­ja­na nicht ret­ten.“
„Sie waren erst elf“, knurrt Ta­cker. „Sie hät­ten gar nichts tun kön­nen.“
„Ich weiß“, sage ich leise und lä­che­le er­neut, damit er weiß, dass es mir gut geht. Ich drehe um und wir gehen wie­der zu den Kop­peln zu­rück. „Das habe ich in­zwi­schen ge­lernt. Es ge­hör­te zu mei­ner Hei­lung und Er­ho­lung von den mas­si­ven Schuld­ge­füh­len.“
„Aber Sie sind ent­kom­men“, sagt er und scheint die schlim­me Story hin­ter sich las­sen und mich dazu be­we­gen zu wol­len, wei­ter­zu­er­zäh­len.
Ich könn­te ihm noch mehr grau­sa­me De­tails er­zäh­len, aber das ist nicht nötig. Ich lä­che­le brei­ter, denn jetzt kom­men wir zum Happy End. „Eine NA­TO-Mit­ar­bei­te­rin hat mich nachts aus dem Camp ge­schmug­gelt. Sie war kurz davor, nach Hause zu flie­gen. Sie hieß Helen Wayne und war von hier. Aus Pho­enix. Sie hat mich ad­op­tiert und so wurde ich zu Nora Wayne.“
„Und Bes­ja­na?“ Er ver­hakt sich sprach­lich nur leicht bei der Aus­spra­che ihres Na­mens.
„Sie hat sich das Leben ge­nom­men“, sage ich trau­rig. „Lange bevor Helen mich ge­ret­tet hat.“
Schwei­gend gehen wir wei­ter.
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist nicht mal an­nä­hernd das, was ich mir vor­ge­stellt habe“, sagt Ta­cker leise.
Ich halte an und lege die Hand auf sei­nen Arm. Ta­cker sieht mich ge­spannt an. „Ich habe Ihnen das nicht er­zählt, um Sie auf der Trau­ma-Ska­la zu über­tref­fen oder um zu be­wei­sen, dass man jedes schlim­me Er­leb­nis über­win­den kann. Son­dern, um Ihnen zu zei­gen, dass man nicht nur dar­über hin­weg­kom­men, son­dern auch wie­der neu auf­blü­hen kann.“
Er sieht mich nur an.
Ich wie­der­ho­le es mit Be­to­nung. „Ich bin wie­der auf­ge­blüht, Ta­cker. Und das kön­nen Sie auch, wenn Sie es wol­len.“
Er schluckt schwer und atmet tief aus.
„Das war ganz schön viel für heute“, sage ich ent­schul­di­gend. „Und die Stun­de ist fast vor­bei. Ich werde das heute nicht be­rech­nen, aber wenn es geht, kom­men Sie bitte mor­gen wie­der. Dann spre­chen wir über MJ, okay?“
Er sperrt sich nicht da­ge­gen, son­dern nickt. „Okay.“

 

Ta­cker

Die Brise spielt mit MJs Haa­ren, bläst sie ihr ins Ge­sicht. Sie fährt sich über die Stirn und schiebt sich die Locke hin­ters Ohr. Sinn­los, denn der Wind er­greift die Haare immer wie­der.
„Das war eine blöde Idee.“ Sie lacht und sieht mich an. Ich um­klam­me­re den Sat­tel­knauf mit den Hän­den und mit den Ober­schen­keln das Pferd.
Ja, es war eine blöde Idee, doch ich woll­te es ihr nicht ver­wei­gern. Wir haben ein ro­man­ti­sches Wo­chen­en­de in einem Re­sort in St. Croix ver­bracht und MJ woll­te un­be­dingt am Strand in den Son­nen­un­ter­gang rei­ten. Das mit dem Son­nen­un­ter­gang am Strand wäre ro­man­tisch ge­we­sen, aber mit den Pfer­den … eher nicht so. MJ stamm­te aus Texas und Pfer­de waren ihr nicht fremd, doch ich kenne nur die Stra­ßen von Richmond, Vir­gi­nia, und hatte ein Pferd noch nie auch nur an­ge­fasst. Ich fühl­te mich nicht nur un­wohl, die­ses rie­si­ge Mons­ter zu rei­ten, und fürch­te­te, ir­gend­wann mit dem Arsch im nas­sen Sand zu lan­den, son­dern der star­ke Wind vom Meer her brach­te meine Augen zum Trä­nen.
Mir ist be­wusst, dass ich träu­me, doch ich lasse es zu. Es ist einer der sel­te­nen Träu­me von MJ, die ich liebe. Von einer glück­li­chen Zeit, als wir lach­ten und ver­liebt waren.
„Wer ist das?“ Sie deu­tet auf einen Punkt am Strand.
Ich ver­en­ge die Augen gegen den Wind und sehe eine Per­son in der Ferne. Ich er­ken­ne sie nicht, aber es ist eine Frau. Selt­sa­mer­wei­se scheint der Wind sie nicht zu be­rüh­ren. Ihr lan­ges, brau­nes Haar liegt un­be­wegt über ihren Schul­tern. Als wir uns nä­hern, sehe ich, dass die Frau Jeans und ein Fla­nell­hemd trägt, was de­fi­ni­tiv nicht an einen ka­ri­bi­schen Strand passt.
Und dann er­ken­ne ich sie.
Nora.
Ich be­trach­te ihre un­pas­sen­de Klei­dung, doch mir ge­fällt, wie der Wes­tern-Stil ihre Kur­ven an den rich­ti­gen Stel­len be­tont. Und ihre schö­nen Ge­sichts­zü­ge mit den Kat­zen­au­gen, die mich wis­send an­se­hen.
Mir wird ganz heiß, und ich wende mich lang­sam MJ zu, um ihr zu er­klä­ren, woher ich diese Frau kenne und dass sie nicht ei­fer­süch­tig zu sein braucht. Aber MJ ach­tet nicht auf mich. Sie starrt Nora an, neigt leicht den Kopf zur Seite und lä­chelt freund­lich, wäh­rend sie wei­ter­hin ver­sucht, ihre Haare zu bän­di­gen.
Ich schaue wie­der zu Nora, die mich immer noch an­sieht, als würde MJ nicht exis­tie­ren. Sie streckt die Hand aus, möch­te, dass ich ab­stei­ge und zu ihr komme. Noch immer steht die Luft um sie herum völ­lig still.
Soll ich zu ihr gehen? Soll ich bei MJ und die­sem al­ber­nen ro­man­ti­schen Aus­flug blei­ben, der eine mei­ner liebs­ten Er­in­ne­run­gen ist, über die wir immer ge­lacht haben? Oder soll ich vom Pferd stei­gen und zu Nora gehen? Der Frau, die mir hel­fen soll … wie nann­te sie es? Auf­zu­blü­hen?

Ruck­ar­tig und fast schmerz­haft er­wa­che ich und schnap­pe nach Luft. Meine Ge­füh­le sind völ­lig durch­ein­an­der, und ich stel­le fest, dass es nur ein Traum war, ver­spü­re aber den­noch die un­glaub­li­che Qual des Ver­lusts. Ich möch­te diese schö­nen Er­in­ne­run­gen an MJ nicht los­las­sen, doch gleich­zei­tig ver­spü­re ich eine in­ne­re Leere, weil ich nicht ab­ge­stie­gen und zu Nora ge­gan­gen bin.
„Ver­fluch­te Schei­ße“, mur­me­le ich frus­triert und habe ein schlech­tes Ge­wis­sen, gleich­zei­tig von Nora und MJ ge­träumt zu haben.
Hitze durch­fährt mich, als ich noch etwas an­de­res be­mer­ke.
Mei­nen Kör­per.
Ge­nau­er ge­sagt, mei­nen Schwanz.
Er ist stein­hart und beult die Bett­de­cke aus. Ich kann nicht sagen, ob ich wegen MJ oder Nora eine Erek­ti­on habe oder weil ich ein Mann bin, der schon lange kei­nen Sex mehr hatte.
Da ich mich nicht ent­schei­den mag, an wel­che Frau ich den­ken soll, wäh­rend ich es mir selbst mache, igno­rie­re ich den Stän­der und stehe auf.
Jetzt steht erst ein­mal eine kalte Du­sche an.

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