Husband Material: Gefährliche Leidenschaft

Er­schie­nen: 07/2023

Genre: Con­tem­pora­ry Ro­mance, Ro­man­tic Thrill

Lo­ca­ti­on: Eng­land, Nord­see­küs­te


Er­hält­lich als:
pa­per­back & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-592-1
ebook: 978-3-86495-593-8

Preis:
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ebook: 6,99 €[D]

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Husband Material: Gefährliche Leidenschaft


In­halts­an­ga­be

Er­schüt­tert vom tra­gi­schen Un­fall­tod ihrer Schwes­ter, einer Schau­spie­le­rin, macht sich die al­lein­er­zie­hen­de Oli­via Green mit ihrer Toch­ter auf den Weg an die bri­ti­sche Nord­see­küs­te, um den Nach­lass zu re­geln und um ihre Schwes­ter zu trau­ern. Statt der er­war­te­ten Idyl­le schlägt ihr je­doch Miss­trau­en ent­ge­gen, und Oli­via wird von dem eben­so at­trak­ti­ven wie rup­pi­gen Fi­scher Henry Clar­ke als "raff­gie­ri­ge Jour­na­lis­tin" be­schimpft, die Pro­fit aus dem Au­to­un­fall ihrer Schwes­ter schla­gen wolle.

Was als Miss­ver­ständ­nis be­ginnt, endet noch am sel­ben Tag mit einem Or­gas­mus, der die auf­ge­wühl­te Oli­via end­gül­tig aus der Bahn wirft.

Henry, der sich von der hüb­schen jun­gen Frau an­ge­zo­gen fühlt und auf mehr hofft, schleicht sich un­be­merkt und Stück für Stück in ihr Herz und ihr Leben. Gleich­zei­tig stellt Oli­via fest, dass ihre Schwes­ter ein dunk­les Ge­heim­nis hatte und ihr Tod ver­mut­lich gar kein Un­fall war.

Wäh­rend Oli­via nach der Wahr­heit sucht, wird sie aus dem Schat­ten von einer un­be­kann­ten Be­dro­hung be­ob­ach­tet, der die ak­tu­el­le Wen­dung gar nicht ge­fällt und wei­ter­hin auf Rache sinnt. Wer trach­tet nun auch nach Oli­vi­as Leben - und warum? Wem kann sie noch trau­en?

Hat wo­mög­lich aus­ge­rech­net der Mann, an den sie ge­ra­de erst ihr Herz ver­lo­ren hat, etwas mit dem Tod ihrer Schwes­ter zu tun?

Ein eben­so ro­man­ti­scher wie span­nen­der Brit-Cri­me. 

Über die Au­to­rin

Nina Pri­bil wurde 1998 in Ba­den-Würt­tem­berg ge­bo­ren und ar­bei­tet als Ge­sund­heits- und Kran­ken­pfle­ge­rin in ihrer Hei­mat. Sie schreibt und liest ro­man­ti­sche und fan­tas­ti­sche Ge­schich­ten vol­ler Aben­teu­er. Ab­ge­se­hen davon fin­det man sie über­all, wo Berge, Scho­ko­la­de und Hunde sind. Zu ihren...

Le­se­pro­be

„Kann ich Ihnen hel­fen?“
Un­will­kür­lich zuck­te ich zu­sam­men und rich­te­te meine Auf­merk­sam­keit wie­der auf die Bar. Ich war so tief in mei­nen Ge­dan­ken ver­sun­ken, dass ich die Kell­ne­rin vor mir gar nicht rich­tig be­merkt hatte. Eine junge Frau, un­ge­fähr in mei­nem Alter, starr­te mich un­ge­dul­dig an und plötz­lich spür­te ich die ste­chen­den Bli­cke der an­de­ren Gäste auf mir. Bis zu die­sem Mo­ment war mir über­haupt nicht auf­ge­fal­len, dass ich von allen an­ge­starrt wurde. Ein be­klem­men­des Ge­fühl legte sich auf mich und ich spür­te, wie die Un­si­cher­heit schlei­chend Be­sitz von mir er­griff. Viel­leicht war das hier doch keine so gute...

...​Idee ge­we­sen. Ich woll­te ge­ra­de auf dem Ab­satz kehrt­ma­chen, als sich die Kell­ne­rin ein wei­te­res Mal räus­per­te und meine Auf­merk­sam­keit somit wie­der auf sich lenk­te. Die Röte schoss mir ins Ge­sicht.
Ver­dammt, wie ich diese un­be­hol­fe­ne Seite an mir hass­te.
Ich mus­ter­te die Frau vor mir. Ihr lan­ges rotes Haar trug sie zu einem hohen Pfer­de­schwanz ge­bun­den, der ihr trotz­dem noch über die Brüs­te fiel. Sie war eher klein und zier­lich, doch ich war mir si­cher, dass sie es lo­cker mit jedem der hier An­we­sen­den auf­neh­men könn­te. Sie sah nicht da­nach aus, als würde sie sich an­satz­wei­se ir­gend­et­was ge­fal­len las­sen. Und sie war auch nicht der Typ Frau, mit dem man sich an­le­gen woll­te. Die Rot­haa­ri­ge steck­te in einem etwas zu gro­ßen Kell­ne­rin­nen Out­fit, wel­ches eben­falls in den Far­ben der Bell­bird Hall leuch­te­te. Ich be­merk­te, wie sie mit den Augen roll­te, und stell­te fest, dass ich wei­ter­hin kei­nen Ton von mir ge­ge­ben hatte. Pein­lich be­rührt räus­per­te ich mich kurz und nahm all mei­nen Mut zu­sam­men. Das konn­te doch nicht so schwer sein.
„Ähm, ja ... Hallo“, be­gann ich zu stot­tern und schob der Rot­haa­ri­gen kur­zer­hand mein Smart­pho­ne über den Tre­sen. „Ich bin auf der Suche nach die­ser Adres­se hier und hoffe, dass Sie mir ir­gend­wie wei­ter­hel­fen kön­nen. Als Tou­rist ist man hier ja kom­plett auf­ge­schmis­sen.“
Bei mei­nem letz­ten Satz zog die Kell­ne­rin arg­wöh­nisch ihre Au­gen­brau­en zu­sam­men. In­ner­lich ver­dreh­te ich die Augen. Ich wuss­te nicht, warum, doch seit mei­ner An­kunft fühl­te ich mich ir­gend­wie ein­ge­schüch­tert und das ge­fiel mir ganz und gar nicht.
Über­deut­lich spür­te ich den Druck, der sich auf meine Schul­tern legte, und ich wagte es nicht, mich wei­ter um­zu­se­hen. Jeder Blick schien mich von oben bis unten aus­ein­an­der­zu­neh­men und zu be­wer­ten. Die At­mo­sphä­re war so kom­plett an­ders als zu Hause in Can­ter­bu­ry. Die Leute dort waren auf­ge­schlos­sen, freund­lich und hat­ten einen groß­ar­ti­gen Humor. Um es ein­fa­cher aus­zu­drü­cken, sie hat­ten de­fi­ni­tiv kei­nen Stock im Arsch, so wie es hier der Fall zu sein schien.
Die Kell­ne­rin mus­ter­te mich er­neut und an­hand ihres Bli­ckes spür­te ich die na­hen­de Ka­ta­stro­phe, die im nächs­ten Mo­ment schon auf mich zu­roll­te. Die Rot­haa­ri­ge warf einen er­neu­ten Blick auf mein Smart­pho­ne, räus­per­te sich kurz und lief an­schlie­ßend drei Bar­ho­cker wei­ter. Mein Herz sack­te nach unten und ver­krampf­te sich schlag­ar­tig. Was soll­te das denn jetzt?
Ich woll­te ge­ra­de etwas sagen, als ich den Mann be­merk­te, der auf dem Bar­ho­cker saß. War mein Herz eben noch nach unten ge­sackt, so schnell­te es jetzt in einem Satz wie­der nach oben und schlug einen Salto nach dem an­de­ren. Mein Mund war staub­tro­cken. Ich hatte in mei­nem Leben schon ei­ni­ge wirk­lich sehr gut aus­se­hen­de Män­ner ge­se­hen und ken­nen­ge­lernt, doch die­ser hier über­traf sie alle. Er muss­te An­fang drei­ßig sein und war von gro­ßer, mus­ku­lö­ser Sta­tur. Sein dunk­les Haar fiel ihm in die Stirn und be­ton­te seine hell­grau­en Augen, die in ein strah­lend hel­les Blau über­gin­gen, so­bald sein Blick auf mich fiel. Der Mann hatte einen ge­pfleg­ten Drei­ta­ge­bart und trug eine dun­kel­blaue Jeans, sowie ein dun­kel­grau­es T-Shirt, wel­ches per­fekt zu sei­nen Augen pass­te. Kurz­um, er war fleisch­ge­wor­de­ner Sex.
Ich muss­te schlu­cken und zwang mich, in eine an­de­re Rich­tung zu sehen. Mein Herz schlug auf ein­mal un­wahr­schein­lich schnell und ich hatte das Ge­fühl, jeden Mo­ment zu kol­la­bie­ren. Hitze und Kälte wech­sel­ten sich in einem un­ge­sun­den Tempo mit­ein­an­der ab und ich spür­te, wie meine Han­din­nen­flä­chen feucht wur­den. Konn­te man das Atmen ver­ges­sen? Hell, yes! Bei­na­he krampf­haft ver­such­te ich, mich wie­der auf das hier und jetzt zu kon­zen­trie­ren, doch es woll­te mir nicht so recht ge­lin­gen. Die Farbe sei­ner Augen sowie der Schwung sei­ner Lip­pen lie­ßen mich da­hin­schmel­zen.
Die Rot­haa­ri­ge reich­te ihm wie selbst­ver­ständ­lich mein Handy und er hielt in­mit­ten sei­ner Be­we­gung inne. Sein zuvor ent­spann­ter Ge­sichts­aus­druck wich au­gen­blick­lich einer wut­ver­zerr­ten Frat­ze, was ihn lei­der nicht we­ni­ger at­trak­tiv mach­te. Er ball­te seine Hände zu Fäus­ten, gab der Frau das Smart­pho­ne zu­rück und schob sei­nen Ho­cker mit einem quiet­schen­den Ge­räusch über den Stein­bo­den. Au­to­ma­tisch wich ich einen Schritt zu­rück. Fuck. Was zur Hölle ging hier vor sich?
Der Mann mit den grau­blau­en Augen kam Schritt für Schritt auf mich zu. Sein Gang war ge­fähr­lich ele­gant und trotz sei­ner aus­strah­len­den Wut konn­te ich mei­nen Blick nicht von ihm ab­wen­den. Er fas­zi­nier­te mich auf eine elek­tri­sie­ren­de Art und Weise und ich spür­te das Krib­beln, das sich in mir breit­mach­te und mich nicht mehr klar den­ken ließ.
„Was wol­len Sie hier?“, knurr­te er be­droh­lich und ein klei­ner Teil von mir frag­te sich immer noch, wie man so sexy sein konn­te. Seine Stim­me war auf­fal­lend rau und ich re­agier­te wie fern­ge­steu­ert auf die­sen Klang. Ein Schau­er lief mir über den Rü­cken und ich spür­te, wie das Krib­beln mei­nen Un­ter­leib er­reich­te. Ver­dammt noch mal, seit wann tat mein Kör­per sol­che Dinge?
Ich räus­per­te mich, streck­te mei­nen Rü­cken noch etwas mehr durch und nahm all mei­nen Mut zu­sam­men.
„Wie ge­sagt, ich bin auf der Suche nach die­ser Adres­se hier.“
Zwang­haft ver­such­te ich, mich wie­der zu be­ru­hi­gen. Ich hatte schließ­lich nichts Fal­sches getan, also durf­te ich die Kon­trol­le unter kei­nen Um­stän­den ver­lie­ren. Auch wenn mein Ge­gen­über mir den Ver­stand raub­te.
„Fin­den Sie das wit­zig?“ Die Frage war kaum mehr als ein Wis­pern, wel­ches tief aus sei­ner Brust zu mir her­vor­drang. Sein gan­zer Kör­per strotz­te nur so vor An­span­nung, sein Blick kleb­te an mir fest, raub­te mir den Atem und ließ mich nicht mehr klar den­ken. Am liebs­ten würde ich vor lau­ter Frust und Wut in Trä­nen aus­bre­chen, doch das woll­te ich auf kei­nen Fall. Nicht hier und schon gar nicht vor die­sen Leu­ten. Diese Ge­nug­tu­ung gönn­te ich ihnen nicht, also tat ich das ein­zig Ver­nünf­ti­ge und trat den Rück­zug an.
„Ich habe keine Ah­nung, wovon Sie spre­chen, aber ich werde jetzt wohl bes­ser gehen.“ Ich kehr­te ihm den Rü­cken zu, meine Hände zu Fäus­ten ge­ballt und fi­xier­te mit bren­nen­den Augen den Aus­gang. Ab wann hatte sich mein Leben in eine der­ar­ti­ge Ka­ta­stro­phe ver­wan­delt?
„Was ist nur los mit euch? Macht es euch so viel Spaß, einer Toten hin­ter­her­zu­spio­nie­ren? Als hät­ten die Hin­ter­blie­be­nen nicht schon genug mit ihrem Ver­lust zu kämp­fen.“
Seine Stim­me wurde nicht lau­ter, doch sie traf wie eine schar­fe Klin­ge di­rekt in mein Herz. Er hatte einen Punkt ge­trof­fen, den er lie­ber nicht hätte tref­fen sol­len. Ich blieb wie an­ge­wur­zelt ste­hen und das Blut ge­fror mir in den Adern. Ich spür­te eine auf­stei­gen­de Übel­keit, wel­che mir den Hals zu­schnür­te. Seine Worte dröhn­ten mir in den Ohren, und meine Hände fin­gen an zu zit­tern. Der ganze Raum be­gann sich zu dre­hen, wäh­rend die­ses ver­damm­te Arsch­loch immer noch einen dar­auf­setz­te. Der Mann hatte den Ab­stand zwi­schen uns ver­rin­gert und in­zwi­schen waren wir uns so nah, dass ich sein Ra­sier­was­ser rie­chen konn­te. Um uns herum war es still ge­wor­den. Kei­ner der an­de­ren Gäste wagte auch nur den kleins­ten Laut und alle starr­ten ge­bannt zwi­schen mir und dem frem­den Mann hin und her. Ich war mir nicht ein­mal mehr si­cher, ob die Juke­box wei­ter­hin die sanf­te Musik von vor­hin spiel­te oder nicht. Alle stan­den wie an­ge­wur­zelt da und auch ich war wie fest­ge­fro­ren, un­fä­hig zu han­deln. Mein Ver­stand hatte sich ver­ab­schie­det und mein Herz ver­such­te ver­zwei­felt, mich vor wei­te­ren At­ta­cken mei­nes Ge­gen­übers zu schüt­zen.
„Wie viel wurde Ihnen denn für diese Story ge­bo­ten? Be­kom­men Sie für Bil­der viel­leicht sogar das Dop­pel­te?“
Warum hörte er nicht ein­fach auf zu reden? Stumm hatte er mir deut­lich bes­ser ge­fal­len. Ich war mir si­cher, wenn ich jetzt nach oben blick­te, wäre ich nur we­ni­ge Zen­ti­me­ter von sei­nem Ge­sicht ent­fernt. Seine Nähe und die Hitze, die von ihm aus­ging, mach­ten mich nicht ge­ra­de auf eine an­ge­neh­me Art und Weise ner­vös. So at­trak­tiv ich ihn auch fand, so wü­tend mach­te mich in die­sem Mo­ment sein An­blick.
Ich schluck­te, schloss meine Augen, at­me­te tief ein und aus, doch das Ge­fühls­cha­os in mei­nem In­ne­ren be­herrsch­te mo­men­tan alles. Wut, ge­paart mit Angst, kämpf­te gegen Fas­sungs­lo­sig­keit. Ich kämpf­te gegen die auf­stei­gen­den Trä­nen an. Ich muss­te hier auf der Stel­le raus, sonst könn­te ich für nichts mehr ga­ran­tie­ren. Ein letz­tes Mal ließ ich mei­nen Blick nach oben wan­dern, bis sich un­se­re Bli­cke kreuz­ten. Braun be­geg­ne­te Blau. Da war etwas zwi­schen uns, das ich nicht deu­ten konn­te. Doch zwi­schen all der Wut und all dem Hass konn­te ich er­ken­nen, dass sein Kör­per eben­so sehr auf mei­nen Kör­per re­agier­te wie um­ge­kehrt. Sein Ober­kör­per war mir zu­ge­wandt und seine Fin­ger zuck­ten kaum merk­lich in meine Rich­tung. Ich be­merk­te das Hüp­fen sei­nes Adams­ap­fels jedes Mal, wenn er schlu­cken muss­te, um seine Kehle zu be­feuch­ten. Seine Pu­pil­len waren er­wei­tert und ver­dräng­ten das wun­der­schö­ne Blau, das mich so sehr an das Meer vor der Tür er­in­ner­te. Ich konn­te die fei­nen Adern an sei­nen Un­ter­ar­men er­ken­nen, die sich bis zu sei­nen Hän­den er­streck­ten. Mein Un­ter­leib zog sich zu­sam­men, als ich daran dach­te, wie sie sich wohl auf mei­ner Haut an­fühl­ten. Mein Kör­per war ein mie­ser, klei­ner Ver­rä­ter.
„Ihre fal­schen An­schul­di­gun­gen kön­nen Sie sich sonst wohin ste­cken“, zisch­te ich und hatte keine Ah­nung, woher ich plötz­lich mei­nen Mut ge­nom­men hatte. „Gabby hat uns, ihre Fa­mi­lie, von sich ge­sto­ßen, doch ir­gend­je­mand muss sich ja um ihre An­ge­le­gen­hei­ten küm­mern. Und glau­ben Sie mir, das ist alles an­de­re als leicht, wenn man seine große Schwes­ter so gut wie nie ge­se­hen hat.“ Meine Stim­me ver­sag­te von Wort zu Wort immer mehr und das Wort Schwes­ter spuck­te ich ihm bei­na­he kläg­lich kräch­zend ent­ge­gen. Ich wisch­te mir eine Träne aus dem Au­gen­win­kel und starr­te ihn hass­er­füllt an. Meine Un­ter­lip­pe bebte und ich zit­ter­te am gan­zen Kör­per.
„Das er­klärt dann wohl auch, warum Sie Gabby hier nie be­sucht haben“, hörte ich plötz­lich die Kell­ne­rin sagen.
Sie hatte recht und in­zwi­schen ver­stand ich, warum mich alle so an­ge­starrt hat­ten. Weder ich noch meine El­tern hat­ten Gabby je­mals in der Bucht be­sucht. Sie hatte uns von sich ge­sto­ßen und uns aus­ge­schlos­sen. Nie­mand hier kann­te uns. Hier waren wir kein Teil ihres Le­bens.
All­mäh­lich fand ich meine Stim­me wie­der. „Wenn Sie mich nun ent­schul­di­gen wür­den. Meine Toch­ter und ich sind eben erst an­ge­kom­men und es war eine wirk­lich lange Fahrt. Vie­len Dank für Ihre Gast­freund­schaft.“
Ich deu­te­te eine spöt­ti­sche Ver­beu­gung an, denn ich woll­te mir mei­nen letz­ten Fun­ken Stolz nicht neh­men las­sen. Doch an­schlie­ßend sack­ten meine Schul­tern kraft­los nach unten. Ich war so un­end­lich müde und hatte keine Ge­duld mehr, mich wei­ter­hin er­klä­ren zu müs­sen.
Der Mann, der mir eben noch so nahe ge­we­sen war, riss nun seine Augen auf, blick­te mich ent­setzt an und tau­mel­te ein paar Schrit­te zu­rück. Sein per­fek­ter Mund stand offen und für einen Mo­ment sah es so aus, als wüss­te er nicht, was er zu sei­ner Ver­tei­di­gung sagen soll­te.
Ja, Über­ra­schung. Die Be­trof­fen­heit stand ihm deut­lich ins Ge­sicht ge­schrie­ben, doch das war mir in die­sem Mo­ment voll­kom­men egal. Soll­te er sich ruhig schul­dig füh­len. Ich sah mich ein letz­tes Mal um und kämpf­te gegen die Panik in mei­nem In­ne­ren an. Die Men­schen um mich herum hat­ten ihre Bli­cke ge­senkt oder starr­ten kon­se­quent in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Die Show war vor­bei und jeder von ihnen pein­lich be­rührt.
„Ich wuss­te nicht ...“ Sein Blick war bei­na­he fle­hend, doch ich fun­kel­te ihn an, als er einen Schritt auf mich zu mach­te. Au­gen­blick­lich blieb er ste­hen. Er hatte ver­stan­den. „Es tut mir un­fass­bar leid.“
Ich lach­te freud­los auf und schüt­tel­te den Kopf. „Hal­ten Sie sich von mir und mei­ner Fa­mi­lie fern.“
Meine Worte klan­gen er­staun­lich fest und ich knall­te ihm meine an­ge­stau­ten Ge­füh­le di­rekt an den Kopf. Meine ganze Wut sowie der gren­zen­lo­se Schmerz ver­fehl­ten ihr Ziel kei­nes­wegs. Be­schämt senk­te der Mann sei­nen Blick und biss sich auf die Un­ter­lip­pe. Ohne einen wei­te­ren Kom­men­tar wir­bel­te ich herum, mar­schier­te ziel­stre­big in Rich­tung Aus­gang, als ich schwe­re Schrit­te hin­ter mir hörte. Ich be­schleu­nig­te das Tempo und sprang die Stu­fen zum Park­platz hin­un­ter.

Ich be­nö­tig­te zwei An­läu­fe, doch schließ­lich ge­lang es mir, mit zitt­ri­gen Fin­gern den Au­to­schlüs­sel aus mei­ner Ho­sen­ta­sche zu an­geln und den Wagen zu ent­rie­geln. Er­leich­tert ließ ich mich auf den Fah­rer­sitz fal­len und schlug die Tür zu. Plötz­lich schreck­te Ella auf und sah sich voll­kom­men ver­dat­tert um. Vor­sichts­hal­ber sperr­te ich das Auto von innen ab und legte gleich­zei­tig den Rück­wärts­gang ein. Ich hatte keine Lust auf eine wei­te­re Be­geg­nung mit die­sem Irren. Wobei ich mir lei­der ein­ge­ste­hen muss­te, dass ich an­fangs noch ziem­lich viele dumme Ideen hatte, die ihn mit­ein­schlos­sen. Doch die­ser Hor­monschub war eben­so schnell vor­bei, wie er ge­kom­men war. Der feuch­te Kies knirsch­te unter den an­fah­ren­den Rä­dern und un­zäh­li­ge klei­ne Stein­chen sto­ben in alle Rich­tun­gen davon.
„Was ist denn los, Mum? Warum weinst du?“
Die sanf­te Stim­me mei­ner Toch­ter war vol­ler Sorge und ich bekam au­to­ma­tisch ein schlech­tes Ge­wis­sen. Ich hatte Ella nicht so er­schre­cken wol­len. Schnell wisch­te ich mir die Trä­nen aus dem Ge­sicht und warf einen Blick in den Rück­spie­gel. Der Mann im grau­en T-Shirt stand mit­ten auf dem Park­platz und sah uns hin­ter­her. Ich schüt­tel­te den Kopf, wisch­te mir die Trä­nen aus dem Ge­sicht und zwang mich zu einem Lä­cheln. Ich hatte gar nicht be­merkt, dass ich ge­weint hatte.
„Alles gut, Jel­ly­be­an. Ich woll­te dich nicht er­schre­cken, ent­schul­di­ge.“
Ella run­zel­te die Stirn, sagte je­doch nichts mehr. Sie glaub­te mir nicht und dar­auf­hin fühl­te ich mich noch schlech­ter. Doch war es über­haupt eine Lüge, wenn man sein Kind damit nur be­schüt­zen woll­te?
Be­reits an der nächs­ten Kreu­zung stell­te ich fest, dass ich mein Handy ver­ges­sen hatte. Die rot­haa­ri­ge Kell­ne­rin hatte es zu­letzt in ihren Hän­den ge­habt und kurz über­leg­te ich, ob ich wie­der um­keh­ren soll­te, um es zu holen. Nach ei­ni­gem Hin und Her ent­schied ich mich da­ge­gen. Nichts auf der Welt würde mich heute noch dazu brin­gen, er­neut mit die­sen Leu­ten zu spre­chen. Viel­leicht mor­gen oder über­mor­gen, aber ganz si­cher nicht heute. Dafür hatte ich keine Kraft mehr und schlag­ar­tig kehr­te die Wut wie­der zu­rück. Es war, als hätte sie mei­nen Kör­per nie ganz ver­las­sen.
Ich hatte es so satt. Ich woll­te mich nicht mehr ver­tei­di­gen oder recht­fer­ti­gen müs­sen. Wo­chen zuvor war meine große Schwes­ter bei einem tra­gi­schen Au­to­un­fall ums Leben ge­kom­men. Ihr Auto hatte eine Leit­plan­ke durch­bro­chen und war meh­re­re Hun­dert Meter in die Tiefe ge­stürzt. Seit­dem war die Hölle über mich und meine Fa­mi­lie her­ein­ge­bro­chen. Die po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen waren nur der An­fang ge­we­sen, doch was da­nach kam, war an Grau­sam­keit nicht zu über­bie­ten. Der Ver­lust eines ge­lieb­ten Men­schen war immer schlimm. Doch der plötz­li­che Tod einer er­folg­rei­chen, jun­gen Schau­spie­le­rin, die von Mil­lio­nen Men­schen ge­liebt und ge­fei­ert wurde, war etwas ganz an­de­res. Man war mit sei­ner Trau­er nicht mehr al­lein, son­dern jeder schien bes­ser über meine Schwes­ter Gabby Be­scheid zu wis­sen als ihre ei­ge­ne Fa­mi­lie. Und wahr­schein­lich traf das auf sehr viele Dinge zu, von denen wir ein­fach nichts wuss­ten. Ihr Haus hier in der Bucht war der beste Be­weis für unser zer­rüt­te­tes Ver­hält­nis.
Die so­zia­len Me­di­en hat­ten den tra­gi­schen Un­fall­tod mei­ner Schwes­ter von vorne bis hin­ten aus­ge­schlach­tet. Wir hat­ten nicht ein­mal die Chan­ce ge­habt, uns ge­büh­rend von Gabby zu ver­ab­schie­den, denn die Fo­to­gra­fen und ihre Fans lau­er­ten über­all. Men­schen, deren Namen ich noch nicht ein­mal kann­te, rie­fen zu jeder Ta­ges- und Nacht­zeit an. Fa­mi­li­en­mit­glie­der und Nach­barn kon­do­lier­ten, wäh­rend wild­frem­de Men­schen un­an­ge­brach­te Fra­gen über die lau­fen­den Er­mitt­lun­gen stell­ten. Warum konn­te man uns nicht ein­fach in Ruhe las­sen und warum fühl­te sich plötz­lich jeder an­ge­spro­chen? Wir hat­ten es ver­dient, trau­ern zu dür­fen. In Ruhe und in Würde. Doch das war die­sen Leu­ten an­schei­nend voll­kom­men egal.
Ich at­me­te noch ein­mal tief durch und über­leg­te, was ich als Nächs­tes tun soll­te. Ich durf­te keine Schwä­che zei­gen und muss­te stark blei­ben. Wenn nicht für mich, dann zu­min­dest für meine Toch­ter. Ich hatte immer noch keine Ah­nung, wo Gab­bys Haus zu fin­den war, als mein Blick auf zwei Pas­san­ten fiel. Auf der ge­gen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te war­te­te ein altes Ehe­paar, die mein Auto mus­ter­ten und mit­ein­an­der zu dis­ku­tie­ren schie­nen. Ich zö­ger­te einen kur­zen Mo­ment und ließ an­schlie­ßend das Fens­ter her­un­ter, um das Ehe­paar nach dem Weg zu fra­gen.
„Ent­schul­di­gen Sie“, sagte ich und be­müh­te mich, um einen freund­li­chen Ton. „Ich bin auf der Suche nach dem Haus von Gabby Green. Ich bin ihre Schwes­ter, Oli­via.“
Die Ehe­leu­te sahen ein­an­der ver­dutzt an. Die alte Frau woll­te ge­ra­de zu einer Ant­wort an­set­zen, als ihr Mann da­zwi­schen­funk­te. „Kön­nen Sie das denn auch be­wei­sen, junge Dame? In letz­ter Zeit waren hier öfter ir­gend­wel­che Frem­den, die sich als Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge aus­ge­ge­ben haben.“
Bei Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen malte er ima­gi­nä­re An­füh­rungs­zei­chen in die Luft und in­ner­lich roll­te ich mit den Augen. Na­tür­lich, be­stimmt hatte es hier nur so von Pres­se­leu­ten ge­wim­melt. Ich hatte be­reits in mei­ner Kind­heit er­fah­ren, dass es immer wie­der Men­schen gab, die ver­such­ten, sich an mei­ner Fa­mi­lie zu be­rei­chern. Diese Tat­sa­che war der Kar­rie­re mei­ner Schwes­ter ge­schul­det. Was mit der Thea­ter-AG in der Schu­le be­gon­nen hatte, führ­te zu na­tio­na­ler und in­ter­na­tio­na­ler Be­kannt­heit. Schon immer hatte ich mich ge­fragt, ob es daran ge­le­gen hatte, dass sie ihrer Fa­mi­lie den Rü­cken ge­kehrt hatte. Doch bis heute waren weder ich noch meine El­tern zu einer Ant­wort ge­langt.
„Aber, Jack, das ist doch nicht nötig“, misch­te sich nun seine Frau ein und holte mich somit zu­rück ins hier und jetzt. Auf ihren Lip­pen lag ein vor­sich­ti­ges Lä­cheln und ich stell­te fest, dass das heute die erste freund­li­che Geste war, die man mir ent­ge­gen­brach­te.
„Das ist schon in Ord­nung, war­ten Sie.“ Zag­haft er­wi­der­te ich ihr Lä­cheln und zog has­tig mei­nen Geld­beu­tel her­vor. Ich reich­te dem Ehe­paar mei­nen Aus­weis und der Mann be­gut­ach­te­te mit einem prü­fen­den Blick das Do­ku­ment. Wahr­schein­lich wuss­te er noch nicht ein­mal, wo­nach er genau su­chen muss­te, um eine Fäl­schung zu er­ken­nen. Doch so­lan­ge ihm der Aus­weis die nö­ti­ge Si­cher­heit ver­mit­tel­te, um mir den rich­ti­gen Weg zu zei­gen, soll­te es mir recht sein.
„Nun, das scheint alles seine Rich­tig­keit zu haben“, sagte er schließ­lich und be­en­de­te damit seine In­spek­ti­on.
Da habe ich aber noch ein­mal Glück ge­habt, dach­te ich zy­nisch und steck­te das klei­ne Do­ku­ment zu­rück in mei­nen Geld­beu­tel. Das Ehe­paar star­te­te mit der Weg­be­schrei­bung und ver­fiel schon bald in einen char­man­ten Wech­sel­ge­sang.
„Sie blei­ben auf die­ser Stra­ße, bis Sie das Orts­schild hin­ter sich ge­las­sen haben.“ Der Mann räus­per­te sich.
„Und gleich da­nach geht ein bei­na­he un­schein­ba­rer Weg rechts ab. Das ist doch rich­tig, oder, Jack?“
„Kor­rekt, Lieb­ling. Gab­bys Haus liegt di­rekt am Strand und ...“
„... des­halb kann man es von der Stra­ße aus nicht di­rekt sehen. Fah­ren Sie ein­fach di­rekt auf das Meer zu, dann kön­nen Sie es ei­gent­lich nicht ver­feh­len“, en­de­te die Frau und nick­te selbst­zu­frie­den.
Un­will­kür­lich muss­te ich grin­sen und be­dank­te mich bei den Ehe­leu­ten. Die bei­den waren of­fen­sicht­lich ein ein­ge­spiel­tes Team und für einen kur­zen Au­gen­blick wurde ich von einer tie­fen Sehn­sucht er­füllt, denn genau das war mein größ­ter Wunsch.
Ich woll­te ge­ra­de wie­der das Fens­ter schlie­ßen, als die Frau mich zu­rück­hielt.
„Wir be­dau­ern Ihren Ver­lust au­ßer­or­dent­lich. Gabby war eine so um­wer­fen­de junge Frau.“
Meine Kehle zog sich schmerz­haft zu­sam­men, wie immer, wenn es um meine äl­te­re Schwes­ter ging, die viel zu früh ihr Leben ver­lo­ren hatte. Ich blin­zel­te gegen die Trä­nen an und zwang mich zu einem Lä­cheln, nicht fähig, ir­gend­et­was zu er­wi­dern. Das Ehe­paar wink­te uns zum Ab­schied noch ein­mal zu. Sie schie­nen mei­nen Schmerz viel­leicht nicht zu be­grei­fen, doch sie hat­ten ihn er­kannt und waren mir mit Freund­lich­keit und Mit­ge­fühl be­geg­net. Ein win­zig klei­ner Stein fiel von mei­ner Brust und gleich­zei­tig spür­te ich die Auf­re­gung durch meine Adern rau­schen. Schon bald würde ich zum ers­ten Mal das Zu­hau­se mei­ner Schwes­ter sehen. 

Dank der Weg­be­schrei­bung ge­lang­ten wir ohne wei­te­re Zwi­schen­fäl­le an unser Ziel. Ella drück­te sich ihre Nase an der Schei­be platt, denn sie war noch auf­ge­reg­ter als ich und konn­te es kaum er­war­ten, die Ge­gend zu er­kun­den. Ge­mein­sam stie­gen wir aus dem ste­hen­den Fahr­zeug und sal­zi­ge Mee­res­luft schlug uns ent­ge­gen.
Das Haus vor uns war mehr als be­ein­dru­ckend und ich ver­stand au­gen­blick­lich, warum Gabby sich hier so wohl­ge­fühlt hatte. Das dun­kel­blaue Haus mit den wei­ßen Fens­ter­rah­men lag di­rekt am Meer, in­mit­ten der weit­läu­fi­gen Dünen, und strahl­te eine un­glaub­li­che Wärme aus. Es be­stand aus einem gro­ßen Haupt­haus und einem etwas klei­ne­ren Anbau. Ein stei­ner­ner Kamin ragte in den wol­ken­ver­han­ge­nen Him­mel und ein Meer aus grü­nem Strand­ha­fer schien das Haus sanft ein­zu­schlie­ßen, ganz so, als würde es schwe­ben. See­mö­wen kreis­ten über un­se­ren Köp­fen und stie­ßen krei­schen­de Laute aus. Es klang mehr nach einem La­chen und ich frag­te mich, ob das wohl das Be­grü­ßungs­ko­mi­tee war.
„Wow“, flüs­ter­te Ella leise und ich stimm­te ihr wort­los zu. Die­ser Ort war ein­fach atem­be­rau­bend schön, pas­send zu Gabby. Hatte ge­passt, ver­bes­ser­te ich mich in Ge­dan­ken.
„Möch­test du auf­schlie­ßen?“, frag­te ich. „Dann sehen wir es uns von Innen an.“
Ella nick­te strah­lend und nahm mir den Schlüs­sel aus der Hand. Sie hüpf­te die we­ni­gen Stu­fen bis zur Haus­tür hin­auf und ich folg­te ihr lang­sam. Plötz­lich spür­te ich ein un­gu­tes Zie­hen in mei­ner Ma­gen­ge­gend und run­zel­te die Stirn. Nor­ma­ler­wei­se konn­te ich mich immer auf mein Bauch­ge­fühl ver­las­sen und spür­te, wenn etwas nicht stimm­te. Aber dies­mal schob ich das un­gu­te Ge­fühl auf den Stress der letz­ten Tage und wisch­te die dunk­len Ge­dan­ken, so gut es ging, bei­sei­te. Ella hatte die Haus­tür be­reits auf­ge­schlos­sen und war im In­ne­ren des Hau­ses ver­schwun­den. Ich blieb auf der Schwel­le der Tür ste­hen und zö­ger­te noch einen Au­gen­blick. Die Be­er­di­gung war nun vier Wo­chen her, der Un­fall bei­na­he schon sechs. Ich hatte lange mit mei­nen El­tern ge­spro­chen und schließ­lich hat­ten wir uns dar­auf ge­ei­nigt, dass ich mich um das Haus in Hi­raeth Bay küm­mern soll­te. Der Tod ihrer äl­tes­ten Toch­ter hatte meine El­tern zu­tiefst er­schüt­tert und ich war mir nicht si­cher, ob sie sich je­mals wie­der von die­sem Ver­lust er­ho­len wür­den. Genau aus die­sem Grund hatte ich mich frei­wil­lig an­ge­bo­ten, hier­her zu fah­ren. Ich woll­te mich um die ver­blie­be­nen An­ge­le­gen­hei­ten mei­ner gro­ßen Schwes­ter küm­mern. Das Haus muss­te aus­ge­räumt wer­den und ein Käu­fer oder Mie­ter ge­fun­den wer­den. Meine El­tern woll­ten das Strand­haus so schnell wie mög­lich unter den Ham­mer brin­gen. Ich konn­te es ihnen nicht ver­übeln. Aus den Augen aus dem Sinn. Als würde der Schmerz, den so ein Ver­lust mit sich brach­te, dann ein­fach so ver­schwin­den.
„Mum! Komm end­lich und sieh dir das an!“ Ellas Stim­me riss mich aus mei­nen Ge­dan­ken.
Ich konn­te sie nir­gend­wo ent­de­cken, doch ihrer Stim­me zu­fol­ge muss­te sie sich ir­gend­wo im Erd­ge­schoss be­fin­den. Leise be­trat ich das Haus und fand mich in einem hel­len Flur wie­der. Wärme, ge­paart mit ein klein wenig Un­be­ha­gen, mach­te sich in mir breit. Auf der einen Seite des Flurs be­fand sich eine helle Gar­de­ro­be mit dunk­len Klei­der­ha­ken, auf der ge­gen­über­lie­gen­den Seite hin­gen ge­rahm­te Bil­der an den Wän­den und über mir hing ein ge­schmack­vol­ler Kron­leuch­ter. Ich trat zur Wand mit den Bil­dern und ent­deck­te mich dort selbst. Es war der Tag mei­ner Ex­amens­fei­er ge­we­sen und ich hob tri­um­phie­rend ein Sekt­glas in Rich­tung Ka­me­ra. Da­ne­ben hing ein Bild von Ella, wel­ches kurz nach ihrer Ge­burt ent­stan­den war. Meine Augen wur­den gla­sig und ich be­trach­te­te das nächs­te Bild - ein Fa­mi­li­en­por­trät. Wir Schwes­tern hat­ten un­se­ren El­tern zum Hoch­zeits­tag ein Fo­to­shoo­ting ge­schenkt und das war das Er­geb­nis. Es war das letz­te ge­mein­sa­me Ge­schenk ge­we­sen, bevor Gabby bei uns aus­ge­zo­gen war. Da­nach hat­ten wir nur sehr sel­ten mit­ein­an­der te­le­fo­niert, bis der Kon­takt schließ­lich ganz ab­ge­bro­chen war. Es be­rühr­te mich, dass sie trotz allem an uns ge­dacht hatte und un­se­re Bil­der auf­ge­hängt hatte. All das schien vor so lan­ger Zeit pas­siert zu sein, es wirk­te bei­na­he un­wirk­lich.
Ich setz­te meine Tour durch das Haus fort, trat durch eine Tür auf der lin­ken Seite und stand in einem gro­ßen, of­fe­nen Wohn­zim­mer. Es war hell, freund­lich und mit ge­müt­li­chen Mö­beln aus­ge­stat­tet. Eine Wand be­stand kom­plett aus Na­tur­stei­nen und zwi­schen den Fugen tra­ten die un­ter­schied­lichs­ten Grün­pflan­zen her­vor. Es war un­glaub­lich schön und ich war auf An­hieb fas­zi­niert. Gabby hatte sich die Natur ein­fach in ihr Haus ge­holt und etwas so Le­ben­di­ges er­schaf­fen, dass es mich so­fort trau­rig stimm­te, dass sie das alles hier nicht wei­ter ge­nie­ßen konn­te, son­dern ich. Mein Blick wan­der­te nach oben. Auch hier ent­deck­te ich einen Kron­leuch­ter an der Decke und war mir si­cher, dass die­ses De­tail sich auch in den an­de­ren Räu­men fort­set­zen würde. Der Raum wurde durch eine gi­gan­ti­sche Sitz­lounge do­mi­niert, wel­che mit einer Viel­zahl an Kis­sen und De­cken de­ko­riert wor­den war. Ein wei­te­res High­light war der of­fe­ne Kamin in­mit­ten der Wand. Jede Ecke die­ses Hau­ses schrie ge­ra­de­zu nach mei­ner gro­ßen Schwes­ter. Gabby hatte die Krea­ti­vi­tät un­se­rer Mut­ter ge­erbt und war eine lei­den­schaft­li­che Fo­to­gra­fin ge­we­sen. Nur sie al­lein schaff­te es, Dinge mit­hil­fe ihres Ob­jek­tivs zum Leben zu er­we­cken. Ihre Werke schie­nen selbst nach so lan­ger Zeit noch eine Ge­schich­te zu er­zäh­len.
Ich trat zu­rück in den Flur und lief den Gang hin­un­ter. Es war ein sich immer wie­der­ho­len­des Mus­ter. Bil­der. Pflan­zen. Noch mehr Bil­der und noch mehr Pflan­zen. Ich muss­te bei­na­he grin­sen, als ich den Kron­leuch­ter in der Küche sah. Diese war im skan­di­na­vi­schen Stil er­rich­tet wor­den. Hel­les Par­kett, weiße Ein­bau­schrän­ke und eine helle Ar­beits­plat­te aus Holz. Sie war offen, groß und auch hier konn­te ich ein paar Pflan­zen in Form von Ge­wür­zen und Kräu­tern ent­de­cken. Ros­ma­rin, Pe­ter­si­lie, Ore­ga­no, sowie meh­re­re reife Pe­pe­ro­ni. Gabby hatte schar­fes Essen ge­liebt, zu­min­dest war das frü­her ein­mal so ge­we­sen.
Neben der Küche be­fand sich ein se­pa­ra­ter Ess­be­reich mit einem schö­nen mas­si­ven Holz­tisch und den pas­sen­den Stüh­len. Ich dreh­te der Küche den Rü­cken zu und mach­te mich auf den Weg in das Ne­ben­ge­bäu­de. Dort rech­ne­te ich mit den Schlaf­zim­mern und Bä­dern, doch das Ne­ben­ge­bäu­de hatte weder eine Raum­auf­tei­lung, noch war es mehr­stö­ckig. Es war ein ein­zel­ner Raum. Groß, hoch, mit hel­len, ver­spie­gel­ten Wän­den und dunk­len Holz­bal­ken an der Decke. Es war ein gi­gan­ti­scher Win­ter­gar­ten mit einem un­ein­ge­schränk­ten Blick auf das to­sen­de Meer. Die gol­de­nen Spie­gel ver­lie­hen dem Raum noch mehr Weite und Größe, als wäre das über­haupt noch mög­lich. Der Win­ter­gar­ten wurde eben­falls von einer weit­läu­fi­gen Sitz­lounge ein­ge­nom­men. Diese war je­doch mit künst­li­chen Fel­len und meh­re­ren De­ko-Kis­sen aus­ge­stat­tet. In die Wände waren meh­re­re Bü­cher­re­ga­le ein­ge­las­sen, die von den Spie­geln re­flek­tiert wur­den. Von den Dach­bal­ken hin­gen meh­re­re Ma­kra­mee-Pflan­zen­net­ze und ich wuss­te, dass Gabby diese selbst ge­knüpft hatte. Ma­kra­mee war ein wei­te­res, heim­li­ches Ta­lent mei­ner Schwes­ter. Ge­we­sen.
Die ver­schie­de­nen Grün­tö­ne der Pflan­zen gaben dem Raum etwas Auf­re­gen­des, aber auch Ge­müt­li­ches. Ich kam aus dem Stau­nen gar nicht mehr her­aus, denn Gabby hatte sich mit jedem De­tail selbst über­trof­fen und ihre Krea­ti­vi­tät kann­te of­fen­sicht­lich keine Gren­zen. Seuf­zend wand­te ich mich ab, ließ die Tür zum Win­ter­gar­ten offen ste­hen und mach­te mich auf die Suche nach mei­ner Toch­ter. Ich fand Ella auf der Ter­ras­se hin­ter dem Haus. Sie saß vor einem Berg Salat und Ge­mü­se und strahl­te.
„Na, wie ge­fällt es dir hier?“, frag­te ich und ließ mich neben ihr nie­der. „Hat Mis­ter Sam die Reise gut über­stan­den?“
„Es ist total cool hier!“, ant­wor­te­te sie und strich der klei­nen Land­schild­krö­te lie­be­voll über den braun­grü­nen Pan­zer. „Ihm ge­fällt es, glau­be ich, auch.“
Mis­ter Sam kam aus einem Tier­heim. Er war ohne Fut­ter und Was­ser in einem Schuh­kar­ton aus­ge­setzt wor­den. Ella hatte sich schon immer ein Haus­tier ge­wünscht und da ein Hund auf­grund des Platz­man­gels in un­se­rer Woh­nung und dem feh­len­den Gar­ten nicht mög­lich ge­we­sen war, hat­ten wir uns an­der­wei­tig um­se­hen müs­sen. Die Suche ge­stal­te­te sich etwas schwie­rig, denn Ella hatte meine Kat­zen­haar­aller­gie ge­erbt und Angst vor Vö­geln. Ich wei­ger­te mich, über Schlan­gen, Ge­ckos oder sons­ti­ge Exo­ten nach­zu­den­ken. Es muss­te also ein Tier sein, um das wir uns beide ad­äquat küm­mern konn­ten, ohne einen all­er­gi­schen Schock oder eine Pa­nik­at­ta­cke zu er­lei­den. Mis­ter Sam war ein Glücks­griff ge­we­sen und wir hat­ten uns di­rekt in den süßen Kerl ver­liebt. Ich war stolz auf meine Toch­ter, denn sie küm­mer­te sich wirk­lich lie­be­voll um das klei­ne Tier. Und jedes Mal, wenn ich sie so glück­lich er­leb­te wie jetzt, wuss­te ich, dass wir genau die rich­ti­ge Ent­schei­dung ge­trof­fen hat­ten.
„Hast du dir schon dein Zim­mer aus­ge­sucht?“, frag­te ich und Ella nick­te ab­we­send. Sie war zu be­schäf­tigt, auf ihre Fin­ger zu ach­ten, wäh­rend Mis­ter Sam eif­rig an einem klei­nen Stück Gurke her­um­nag­te und dabei ihren Fin­gern ge­fähr­lich na­he­kam.
„Ich werde mal un­se­re Sa­chen aus dem Auto holen, okay?“
Ella nick­te und damit ließ ich meine Toch­ter auf der Ter­ras­se zu­rück. Sie soll­te sich nach der lan­gen An­rei­se er­ho­len, denn die letz­ten Wo­chen waren auch für sie eine wahre Ach­ter­bahn­fahrt ge­we­sen. Die Trau­er und die Men­schen­mas­sen, die uns auf Schritt und Tritt ver­folg­ten, gin­gen auch an ihr nicht spur­los vor­bei. Kurz­zei­tig hatte ich sogar über­legt, Ella von ihrer Schu­le zu neh­men, nach­dem sich ein Re­por­ter Zu­tritt zum Schul­ge­län­de ver­schafft hatte. Alles nur, um an Infos über Gabby zu ge­lan­gen.
Ich star­te­te mit den Le­bens­mit­teln, die ich für die lange Fahrt in einer Kühl­ta­sche de­po­niert hatte. Nach­dem ich alle ab­ge­lau­fe­nen sowie ver­schim­mel­ten Le­bens­mit­tel aus Gab­bys Kühl­schrank ent­fernt hatte, putz­te ich ihn ein­mal durch und räum­te an­schlie­ßend alles Fri­sche wie­der ein. Dar­auf­hin holte ich die rest­li­chen Kof­fer aus dem Wagen. Ella kam nun eben­falls nach oben und mach­te sich in ihrem Zim­mer breit. Sie würde im Gäs­te­zim­mer mit dem da­zu­ge­hö­ri­gen Bal­kon schla­fen.
„Soll ich dir beim Aus­pa­cken hel­fen, Jel­ly­be­an?“
„Das schaf­fe ich al­lei­ne, aber so lang­sam be­kom­me ich Hun­ger“, ant­wor­te­te Ella und auch ich konn­te die Leere in mei­nem Magen nicht län­ger leug­nen.
„Wir pa­cken un­se­re Kof­fer aus und dann koch ich uns etwas Schö­nes, ist das ein Plan?“
„Pizza oder Mak­ka­ro­ni?“ Ella legte ihren Kopf schräg, als würde sie über die Ent­ste­hung des Uni­ver­sums nach­den­ken. Ich konn­te sie ver­ste­hen, denn wenn es ums Essen ging, ver­stand kei­ner von uns bei­den Spaß.
„Heute Pizza und mor­gen Mak­ka­ro­ni?“
„Das ist ein guter Plan.“ Ella grins­te und woll­te ge­ra­de zu­rück in ihr Zim­mer, als sie sich noch ein­mal um­dreh­te. „Mum?“
„Ja?“
„Denkst du, Tante Gabby fin­det es gut, dass wir jetzt hier sind?“
Prompt kehr­te der Kloß in mei­ner Kehle wie­der zu­rück. Ich schluck­te krampf­haft da­ge­gen an, als ich die Un­si­cher­heit in ihren Augen er­kann­te. Na­tür­lich konn­te ich Ella ver­ste­hen, denn auch ich hatte oft daran den­ken müs­sen, was meine Schwes­ter wohl von all­dem hal­ten würde. Wir hat­ten uns noch nie na­he­ge­stan­den und das hatte sich nach Ellas Ge­burt auch nicht ge­än­dert. Ganz im Ge­gen­teil. Gabby hatte mich zwar nie ver­ur­teilt, dass ich mit sech­zehn Mut­ter wurde, doch sie hatte auch nichts getan, um mir wäh­rend der Schwan­ger­schaft und in der Zeit da­nach bei­zu­ste­hen. Ich war ihr des­we­gen nie böse ge­we­sen. Gabby und ich waren ein­fach kom­plett ver­schie­den ge­we­sen und das war auch okay so. Doch manch­mal hätte ich mir ein bes­se­res Ver­hält­nis zu mei­ner Schwes­ter ge­wünscht. Es war nicht so, dass ich es nicht ver­sucht hatte. All die un­zäh­li­gen Nach­rich­ten und An­ru­fe, auf die ich keine Ant­wort er­hal­ten hatte. Gabby hatte mir nie zu­rück­ge­schrie­ben und all meine An­ru­fe igno­riert. Doch manch­mal wünsch­te ich mir, dass ich hart­nä­cki­ger ge­blie­ben wäre. Viel­leicht hätte Gabby mir dann er­klärt, warum sie uns den Rü­cken ge­kehrt hatte.
Meine Schwes­ter hätte trotz­dem nichts gegen un­se­ren Auf­ent­halt, da war ich mir si­cher. Sie würde wol­len, dass ihr Haus in die rich­ti­gen Hände fiel und man sich darum küm­mer­te.
„Gabby hat uns ge­liebt, weißt du“, sagte ich, und ver­such­te, Ella ihre Un­si­cher­heit zu neh­men. „Sie würde wol­len, dass wir uns jetzt um ihr Haus küm­mern. Mach dir keine Ge­dan­ken, mein Schatz. Es ist alles in Ord­nung.“
Ella blin­zel­te und nick­te schließ­lich. „Ich hab dich lieb, Mummy.“
„Ich hab dich auch lieb“, ant­wor­te­te ich lä­chelnd und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Und jetzt los, damit wir schnell fer­tig wer­den.“
Mit einem mul­mi­gen Ge­fühl be­trat ich das Schlaf­zim­mer mei­ner ver­stor­be­nen Schwes­ter. Es war so ähn­lich ein­ge­rich­tet wie der Rest der Woh­nung. Hell, offen und freund­lich, ein Kron­leuch­ter an der Decke und dunk­les Par­kett am Boden. Den meis­ten Platz nahm das graue Box­spring­bett mit wei­ßer Bett­wä­sche und dun­kel­grau­er Ta­ges­de­cke ein. Über dem Bett hing eine gi­gan­ti­sche Land­kar­te der bri­ti­schen Nord­see­küs­te. Sie war äu­ßerst fi­li­gran und sehr genau von Hand ge­zeich­net. An der ge­gen­über­lie­gen­den Wand be­fand sich ein weiß ge­stri­che­ner Klei­der­schrank, der sich über die ge­sam­te Länge er­streck­te. Der Klei­der­schrank war noch voll mit Gab­bys Sa­chen. Es fühl­te sich falsch an, die Klei­dung mei­ner Schwes­ter durch meine ei­ge­ne zu er­set­zen, also nahm ich mir vor, erst ein­mal im Wohn­zim­mer zu über­nach­ten.
Vom Schlaf­zim­mer aus ge­lang­te man di­rekt in das an­gren­zen­de Ba­de­zim­mer. Das High­light dort war eine frei ste­hen­de Ba­de­wan­ne in der Mitte des Rau­mes. Wei­ßer Stein an den Wän­den sowie am Boden, gol­de­ne Ele­men­te, zwei Wasch­be­cken und ein gro­ßer, be­leuch­te­ter Spie­gel, der sich fast über die ganze Wand er­streck­te, be­fan­den sich eben­falls im Raum. Wie oft hatte Gabby sich wohl in die­sem Spie­gel be­trach­tet und sich über ihre Fri­sur oder einen miss­lun­ge­nen Lid­strich ge­är­gert? Alles an die­sem Haus war or­dent­lich und sau­ber. Die Zahn­bürs­te und die Zahn­pas­ta be­fan­den sich rechts davon in einem Glas, links stand der Sei­fen­spen­der. Zwei fri­sche Hand­tü­cher hin­gen über der Dusch­ka­bi­ne und der Wä­sche­korb, gleich neben der Tür, war voll. Alles schien dar­auf zu war­ten, dass meine Schwes­ter jeden Mo­ment wie­der zu­rück­kam. Doch das würde sie nicht. Nie wie­der.
Ich sah noch ein­mal kurz nach mei­ner Toch­ter, bevor ich mich auf den Weg nach unten mach­te. Ella war noch immer mit Aus­pa­cken be­schäf­tigt und dabei woll­te ich sie nicht stö­ren. Ich be­trat die Küche und such­te mir die Zu­ta­ten zu­sam­men, die ich für die Pizza be­nö­tig­te. Der Teig war schnell ge­macht und ich deck­te die Schüs­sel mit einem Ge­schirr­tuch ab, um den Teig noch etwas gehen zu las­sen. Wäh­rend­des­sen rühr­te ich die To­ma­ten­so­ße an und such­te an­schlie­ßend nach einem Schnei­de­brett, um das Ge­mü­se für den Belag vor­zu­be­rei­ten. Ich öff­ne­te di­ver­se Schub­la­den, wurde je­doch nicht fün­dig.
Mein Blick fiel auf ein ge­schlos­se­nes Fach un­ter­halb des Kühl­schranks. Mit einem Ruck zog ich die Schub­la­de auf und stol­per­te au­gen­blick­lich zu­rück. Ent­setzt press­te ich mir die Hand auf den Mund, um den auf­stei­gen­den Schrei in mei­ner Kehle zu er­sti­cken. Vor­sich­tig lugte ich er­neut in die Schub­la­de. Eine Schuss­waf­fe lag in der ge­öff­ne­ten Schub­la­de, deren An­blick sich in meine Augen brann­te. War sie viel­leicht sogar ge­la­den? Ich hatte keine Ah­nung, denn ich kann­te mich mit so etwas nicht aus. Warum hatte Gabby eine Waffe im Haus? Sie wirk­te hier so fehl am Platz. Ent­schlos­sen knall­te ich die Schub­la­de wie­der zu, riss sie je­doch im sel­ben Au­gen­blick wie­der auf. Das Ding muss­te hier weg, und zwar so schnell wie mög­lich. Die Schub­la­de konn­te man je­der­zeit öff­nen und ich muss­te ver­hin­dern, dass die Waffe in Ellas Hände fiel. Eine Waffe hatte nichts in einem Haus mit einem Kind ver­lo­ren.
Fie­ber­haft such­te ich nach einem pas­sen­den Ver­steck und dabei fiel mir das Nacht­käst­chen in Gab­bys Schlaf­zim­mer ein. Eine bes­se­re Idee hatte ich auf die Schnel­le nicht. Darum würde ich mich spä­ter küm­mern müs­sen. Jetzt war es erst ein­mal wich­tig, dass Ella nichts von al­le­dem mit­be­kam. Mit zitt­ri­gen Fin­gern nahm ich ein fri­sches Ge­schirr­tuch aus dem Regal und wi­ckel­te den Re­vol­ver vor­sich­tig darin ein. Ge­ra­de woll­te ich die Schub­la­de wie­der schlie­ßen, als ich pol­tern­de Schrit­te auf der Trep­pe hörte. Er­schro­cken fuhr ich herum. Ella.
„Fuck, Fuck, Fuck“, wis­per­te ich pa­nisch, wäh­rend ich den ein­ge­wi­ckel­ten Re­vol­ver zu­rück in die of­fe­ne Schub­la­de fal­len ließ und die Schub­la­de wie­der zu­drück­te. Ge­ra­de noch recht­zei­tig, denn Ella hüpf­te be­reits in die Küche und war of­fen­sicht­lich be­reit für das Abend­es­sen. Ich zit­ter­te am gan­zen Kör­per und ver­such­te krampf­haft, meine Ge­dan­ken zu ord­nen. Was war das nur für ein ab­ge­fuck­ter Tag? So­bald Ella im Bett war, würde ich den Re­vol­ver ver­ste­cken, doch wenn ich mich nicht schnell wie­der in den Griff bekam, würde sie mer­ken, dass etwas nicht stimm­te.
„Soll ich schon mal den Tisch de­cken?“, frag­te Ella und sah mich er­war­tungs­voll an.
Ich nick­te, dank­bar für die Ab­len­kung, und kämpf­te gegen die in­ne­re Un­ru­he an. „Ja, das wäre toll! Danke, Jel­ly­be­an. Sieh mal dort in der Vi­tri­ne nach, dort habe ich vor­hin das Ge­schirr ent­deckt.“
Ich deu­te­te auf eine Glas­vi­tri­ne, wel­che zwi­schen Küche und Ess­zim­mer stand, und mach­te an­schlie­ßend mit der Zu­be­rei­tung des Abend­es­sens wei­ter. Plötz­lich kam mir eine Idee und ich grins­te meine Toch­ter an.
„Ver­giss den Tisch“, sagte ich statt­des­sen. „Wir ma­chen uns einen ge­müt­li­chen So­fa-Piz­za-Abend. Mein Lap­top ist oben im Schlaf­zim­mer, wir könn­ten uns auf Net­flix ge­mein­sam einen Film aus­su­chen.“
„O ja, cool!“
Ich lach­te, als Ella vor lau­ter Auf­re­gung einen klei­nen Freu­den­tanz auf­führ­te. Schnell rann­te sie die Trep­pe hin­auf in den obe­ren Stock und ich hoff­te auf eine sta­bi­le In­ter­net­ver­bin­dung.

Der Duft der frisch­ge­ba­cke­nen Pizza er­füll­te das Strand­haus und das Was­ser lief mir im Mund zu­sam­men. Mit­hil­fe eines Piz­za­rol­lers schnitt ich die Pizza in hand­ge­rech­te Stü­cke und ver­teil­te sie auf zwei Tel­ler, als es an der Tür klin­gel­te. Mein Blick wan­der­te zu der gro­ßen Vin­ta­ge-Uhr, wel­che über der Ar­beits­flä­che hing. Es war be­reits spät und wir er­war­te­ten kei­nen Be­such. Plötz­lich wan­der­ten meine Ge­dan­ken zu­rück in die Bell­bird Hall und mein Magen zog sich krampf­haft zu­sam­men. Die Be­woh­ner der Bucht waren mir ge­gen­über nicht ge­ra­de auf­ge­schlos­sen ge­we­sen und egal, wer dort vor der Tür auf mich war­te­te, ich würde vor­sich­tig sein. Es klin­gel­te er­neut und ich löste mich aus mei­ner Star­re. Nach­dem ich mir noch kurz die Hände ge­wa­schen hatte, mach­te ich mich auf den Weg zur Tür. Ner­vös drück­te ich die Klin­ke nach unten und wäre bei­na­he zu­rück­ge­stol­pert, als ich den un­an­ge­mel­de­ten Be­su­cher er­kann­te. 

Für einen Mo­ment ver­gaß ich, wie man at­me­te, denn es war die­ser un­ver­schämt gut aus­se­hen­de Idiot aus dem Re­stau­rant. Ob­wohl es sich drau­ßen nun deut­lich ab­ge­kühlt hatte, trug er weder eine Jacke noch etwas an­de­res, um sich warm zu hal­ten. Ich starr­te ihn an. Der hatte mir ge­ra­de noch ge­fehlt.
„Hallo“, sagte er mit tie­fer Stim­me und einem schie­fen Lä­cheln auf den Lip­pen, das un­fass­bar char­mant auf mich wirk­te und meine Knie zum Zit­tern brach­te.
Warum hatte er nur so eine hef­ti­ge Wir­kung auf mich? Mein Herz stol­per­te und ich ver­fluch­te mei­nen Kör­per be­reits zum zwei­ten Mal an die­sem Tag. Ich muss­te mich zu­sam­men­rei­ßen. Scheiß­egal, wie at­trak­tiv er war, ich woll­te ihn nicht hier­ha­ben. Ich woll­te ihm ge­ra­de die Tür vor der Nase zu­schla­gen, als er sei­nen Fuß nach vorne schob und seine Hand vor­sich­tig, aber be­stimmt, gegen die Tür press­te. Er war deut­lich stär­ker als ich und ich hatte keine Ah­nung, ob mir diese Ak­ti­on Angst mach­te oder mich an­mach­te.
„Bitte, hören Sie mir zu“, be­eil­te er sich zu sagen und drück­te noch etwas fes­ter. „Ich möch­te mich bei Ihnen ent­schul­di­gen.“
Ge­nervt stöhn­te ich auf, gab den Wi­der­stand auf und öff­ne­te die Tür einen klei­nen Spalt. Alles in mir war in Auf­ruhr und ich wuss­te nicht, was ich tun soll­te. Ein win­zi­ger Teil von mir woll­te ihm tat­säch­lich zu­hö­ren, doch der an­de­re, ein­deu­tig grö­ße­re Teil, woll­te ihn ohne Rück­fahr­ti­cket auf den Mond schie­ßen.
„Neh­men Sie Ihren Fuß da weg, ver­dammt noch mal“, zisch­te ich ihn zwi­schen zu­sam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen an. Er mach­te mich ner­vös und das ge­fiel mir ganz und gar nicht. „Fuß weg, oder ich rufe die Po­li­zei!“
Sein Blick än­der­te sich schlag­ar­tig und er hob be­schwich­ti­gend die Hände. Dabei konn­te ich er­neut einen Blick auf seine mus­ku­lö­sen Arme er­ha­schen.
„Es tut mir leid, ich woll­te Sie nicht er­schre­cken.“
Prompt zog er sei­nen Fuß zu­rück und nahm die Hand von der Tür. Eine ganze Weile sagte nie­mand etwas. Ich spür­te sei­nen Blick auf mir und re­gis­trier­te, wie meine Auf­re­gung von Se­kun­de zu Se­kun­de immer grö­ßer wurde. Meine Nägel gru­ben sich in meine Un­ter­ar­me und meine Knie wur­den weich. Viel­leicht soll­te ich doch lie­ber die Po­li­zei rufen, schon al­lein wegen Ella. Viel­leicht war die­ser Typ ein ge­such­ter Axt­mör­der oder so etwas. Der Mann holte ge­ra­de Luft, um etwas zu sagen, als sein Blick auf etwas hin­ter mir fiel. Ich dreh­te mich um und sah meine klei­ne Toch­ter im Flur ste­hen. Ella trug ihr liebs­tes Ku­schel­tier auf dem Arm und be­ob­ach­te­te uns neu­gie­rig.
„Wer ist das, Mum?“, frag­te sie und kam näher, ohne uns aus den Augen zu las­sen.
Ella war schon immer sehr neu­gie­rig und auf­ge­weckt ge­we­sen. Es in­ter­es­sie­re sie, was um sie herum vor­ging. Ich ging vor ihr auf die Knie und strich ihr eine lose Sträh­ne ihres dunk­len Haa­res aus dem Ge­sicht. Deut­lich spür­te ich den Blick des Man­nes in mei­nem Rü­cken und nahm ein elek­tri­sie­ren­des Ge­fühl wahr, das mich dabei durch­flu­te­te.
„Hast du dir schon einen Film her­aus­ge­sucht?“, frag­te ich und Ella nick­te auf­ge­regt. Ich wand­te mich an un­se­ren un­ge­be­te­nen Gast. „War­ten Sie hier, ich bin gleich wie­der da.“
Ich brach­te meine Toch­ter ins Wohn­zim­mer, und wäh­rend mein Lap­top hoch­fuhr, holte ich die bei­den Tel­ler aus der Küche und stell­te sie auf den mo­der­nen Couch­tisch. Ella hatte sich für den Film Fro­zen ent­schie­den, den ich vor un­se­rer Au­to­fahrt be­reits her­un­ter­ge­la­den hatte.
„Möch­test du schon mal ohne mich an­fan­gen? Ich komme, so schnell ich kann. Falls du etwas brauchst, ich bin hier, okay?“
„Kein Pro­blem“, sagte Ella und mach­te sich auf dem Sofa breit. Ich star­te­te den Film und kehr­te zu dem Mann zu­rück, der an der Haus­tür auf mich ge­war­tet hatte.
Ich be­merk­te sei­nen über­rasch­ten Blick. „Was?“
„Ihre Toch­ter?“, frag­te er un­gläu­big und mus­ter­te mich er­neut von oben bis unten.
Ich kann­te die­sen Blick. Es war kein an­züg­li­cher Blick, son­dern der Bist-du-nicht-ei­gent­lich-viel-zu-jung-um-Mut­ter-zu-sein-Blick. Im Laufe der Zeit hatte ich mich daran ge­wöhnt, denn Men­schen re­agier­ten sehr un­ter­schied­lich, wenn es um min­der­jäh­ri­ge, al­lein­er­zie­hen­de Müt­ter ging. Von Be­wun­de­rung über Aus­gren­zung bis hin zu Un­glau­ben und Häme hatte ich schon alles er­lebt. Meine Mum hatte mir ein­mal ge­sagt, dass es mir egal sein müss­te, was die Leute über mich dach­ten, und mitt­ler­wei­le war es mir das auch. Was viel­leicht auch daran lag, dass ich keine sech­zehn Jahre alt mehr war. Ich war stolz auf mich und meine klei­ne Fa­mi­lie, denn ich hatte eine wun­der­vol­le Toch­ter und stand selbst mit bei­den Bei­nen fest im Leben, was nicht jeder von sich be­haup­ten konn­te.
Der Mann im Tür­rah­men räus­per­te sich kurz und holte mich damit in die Ge­gen­wart zu­rück. Ich hatte mich schnell wie­der ge­fan­gen und ant­wor­te­te ihm äu­ßerst wi­der­wil­lig. „Sagte ich doch be­reits, oder nicht?“
In der Bell­bird Hall hatte ich be­reits kurz von Ella ge­spro­chen, also war das keine allzu neue In­for­ma­ti­on. Ich be­ob­ach­te­te ihn auf­merk­sam und be­merk­te, wie er das Ge­sicht kaum merk­lich ver­zog. Of­fen­sicht­lich fühl­te er sich vor den Kopf ge­sto­ßen und ein klei­ner Teil von mir, woll­te sich für meine bis­si­ge Ant­wort ent­schul­di­gen. Doch dazu kam es nicht.
„Ja, das stimmt.“ Er­neut kehr­te diese un­an­ge­neh­me Stil­le zwi­schen uns wie­der zu­rück.
„Also gut, ich ähm ...“ Er räus­per­te sich er­neut. „Ich woll­te Ihnen nur das Handy zu­rück­brin­gen. Sie haben es im Re­stau­rant ver­ges­sen.“
Ich zö­ger­te kurz und nahm das Smart­pho­ne schließ­lich ent­ge­gen. Für einen Au­gen­blick be­rühr­ten sich un­se­re Hände und ich zog mei­nen Arm schnell wie­der zu­rück. Diese Be­rüh­rung war so flüch­tig ge­we­sen, dass ich mir gar nicht mehr si­cher war, ob ich sie mir nicht nur ein­ge­bil­det hatte.
„Danke.“ Das war alles, was ich im Mo­ment her­aus­be­kam. Ner­vös knab­ber­te ich auf mei­ner Un­ter­lip­pe herum, als ich merk­te, dass er mich be­ob­ach­te­te. „Sonst noch etwas?“, frag­te ich schließ­lich und hoff­te, dass er noch ir­gend­et­was sagen würde.
„Nein, das war alles“, ant­wor­te­te er. „Gute Nacht.“
Ich run­zel­te die Stirn und öff­ne­te mei­nen Mund, ohne je­doch etwas zu sagen. Was war das denn jetzt? Ich woll­te die Tür ge­ra­de wie­der schlie­ßen, als er sich er­neut um­dreh­te und mit schnel­len Schrit­ten auf mich zukam.
„War­ten Sie, bitte“, sagte er und die­ses Mal lag eine feste Ent­schlos­sen­heit in sei­ner Stim­me. Diese Seite an ihm ge­fiel mir schon bes­ser. „Mein Auf­tre­ten im Re­stau­rant und alles, was ich Ihnen an den Kopf ge­wor­fen habe, war nicht in Ord­nung.“
Er wirk­te auf­rich­tig und ich hegte kei­ner­lei Zwei­fel an sei­ner Ent­schul­di­gung. Ich woll­te ihm ver­zei­hen, aber er hatte mich mit sei­nen Wor­ten mehr­fach tief ver­letzt. Wie­der sah ich ihm fest in die Augen, fi­xier­te sei­nen Blick und igno­rier­te das pri­ckeln­de Ge­fühl, das ich dar­auf­hin in mei­nem Un­ter­leib ver­spür­te. Ich war keine sehr nach­tra­gen­de Per­son, aber er ver­dien­te es, noch ein klei­nes biss­chen län­ger zu schmo­ren.
„Schon gut, wirk­lich.“
Über­rascht be­weg­ten sich seine Au­gen­brau­en nach oben. Er wirk­te er­leich­tert und schien sich au­gen­blick­lich zu ent­span­nen.
„Danke, wirk­lich. Ich bin ei­gent­lich ein ziem­lich char­man­ter Kerl, das kön­nen Sie mir glau­ben.“
Und das tat ich auch, ohne Zwei­fel. Ich wuss­te nicht, was die­ser Mann an sich hatte, doch in die­sem Mo­ment war er kein ganz so gro­ßes Arsch­loch mehr, wie ich es er­war­tet hatte. Zudem sah er so un­fass­bar gut aus, dass mir bei­na­he schwin­de­lig wurde. Ich konn­te nicht mehr klar den­ken.
„Danke“, sagte er plötz­lich und ich riss die Augen auf. Meine Wan­gen brann­ten und ich wäre am liebs­ten im Erd­bo­den ver­sun­ken.
Hatte ich meine Ge­dan­ken etwa laut aus­ge­spro­chen?
Ich schluck­te, als er Schritt für Schritt auf mich zu­trat. Sein Duft nach Salz und Meer schlug mir ent­ge­gen, den ich tief in mir auf­nahm. Ich wi­der­stand dem Drang zu­rück­zu­wei­chen. Mitt­ler­wei­le stan­den wir uns so nah ge­gen­über, dass mir das Atmen immer schwe­rer fiel. Mit ra­sen­dem Her­zen be­ob­ach­te­te ich, wie er seine rech­te Hand hob, die ich schon bald unter mei­nem Kinn spür­te. Diese sanf­te Be­rüh­rung jagte mir einen Schau­er nach dem an­de­ren durch den Kör­per und eine Gän­se­haut brei­te­te sich auf mei­nen Armen aus. Sein Dau­men strich sanft über meine Wange und fuhr an­schlie­ßend die Um­ris­se mei­ner Lip­pen nach. Ich soll­te zu­rück in die Küche gehen, soll­te die Pizza fer­tig­ma­chen, soll­te, soll­te, soll­te. Und doch blieb ich wie an­ge­wur­zelt ste­hen.
„Viel­leicht“, er räus­per­te sich wie­der, den­noch blieb seine Stim­me so rau, dass sie mich mit­ten ins Herz traf und dafür sorg­te, dass ich meine Ober­schen­kel fest an­ein­an­der­press­te, „viel­leicht gibt es ja etwas, womit ich mein Ver­hal­ten wie­der gut­ma­chen kann?“
War das hier ein Traum oder pas­sier­te das ge­ra­de wirk­lich? Mein Herz schlug in einem un­ge­sun­den Tempo und meine Fin­ger zuck­ten in seine Rich­tung, ver­weil­ten je­doch noch an mei­nem Kör­per.
Soll­te ich es tun? Soll­te ich es wagen und einen wild­frem­den Mann küs­sen, dem ich bis vor we­ni­gen Stun­den noch die Pest an den Hals ge­wünscht hatte? Aber wahr­schein­lich war das hier das letz­te Mal, dass wir uns so ge­gen­über­ste­hen wür­den, also was könn­te schlimms­ten­falls pas­sie­ren?
„Du kannst dich je­der­zeit zu­rück­zie­hen“, wis­per­te er, hörte aber nicht auf, die Kon­tu­ren mei­nes Ge­sichts nach­zu­zeich­nen. Seine Be­rüh­run­gen jag­ten mir einen Schau­er über mei­nen Kör­per und ich wünsch­te mir, er würde nie wie­der damit auf­hö­ren. „Ich weiß nicht, was Sie mit mir ma­chen, aber Sie rau­ben mir den Ver­stand.“
Ich schnapp­te nach Luft und spür­te, wie ich bei sei­nen Wor­ten feucht wurde. Seine Pu­pil­len waren vor Er­re­gung stark ge­wei­tet. Sie fi­xier­ten mich, lie­ßen mich nicht wie­der los und ich stell­te mir immer wie­der die­sel­be Frage: Woll­te ich das? Und plötz­lich wurde mir klar, dass ich die Ant­wort dar­auf schon längst kann­te. Mein Kör­per schrie sie mir aus jeder ein­zel­nen Pore ent­ge­gen.
Ent­schlos­sen reck­te ich mich ihm ein Stück ent­ge­gen, über­brück­te damit den Ab­stand zwi­schen uns und legte meine Lip­pen auf seine. Sein Duft nach Meer und Mann hüll­te mich voll­stän­dig ein. Seine Lip­pen waren rau und streif­ten mit genau der pas­sen­den Härte über meine. Lei­den­schaft­lich und doch be­hut­sam er­wi­der­te er mei­nen Kuss, legte eine Hand an meine Tail­le, die an­de­re ver­grub er in mei­nem Haar. Ich öff­ne­te mei­nen Mund und teil­te seine Lip­pen mit mei­ner Zunge. Der Kuss ge­wann an In­ten­si­tät und ich spür­te ein un­nach­gie­bi­ges Zie­hen in mei­nem Un­ter­leib. In die­sem Mo­ment ließ ich mich kom­plett fal­len und seufz­te in un­se­ren Kuss hin­ein. Er press­te mich noch enger an sich und für einen kur­zen Mo­ment dach­te ich daran, wie ver­rückt das alles hier war. Ver­rückt und doch wahn­sin­nig heiß. Ich woll­te mehr, er woll­te mehr und das Feuer in uns koch­te immer wei­ter hoch. In die­sem Mo­ment gab es nur noch ihn. Er war ein­fach über­all. Der Mann schlang seine Arme um meine Ober­schen­kel und hob mich in einer flie­ßen­den Be­we­gung hoch. Dort, wo er mich be­rühr­te, spür­te ich eine glü­hen­de Hitze, die mei­nen Kör­per flu­te­te. Seine Be­rüh­run­gen brann­ten sich in meine Haut und ich seufz­te woh­lig auf. Er ging mir unter die Haut und rausch­te durch meine Venen. Es war ab­surd, doch in die­sem Au­gen­blick brauch­te ich ihn wie die Luft zum Atmen.
„War­ten Sie, die Tür“, flüs­ter­te ich und ver­such­te, hin­ter mich zu grei­fen. Er lehn­te sie sach­te an, so­dass ich Ella im Not­fall noch hören konn­te. Doch den Stim­men von Anna und Elsa nach zu ur­tei­len, war meine Toch­ter voll­kom­men in der eis­blau­en Welt der Eis­kö­ni­gin ge­fan­gen.
Ich spür­te seine Lip­pen an mei­nem Hals, wäh­rend meine Hände die Haut unter sei­nem T-Shirt er­kun­de­ten. Seine An­we­sen­heit war zu viel und doch viel zu wenig. Mein Kör­per rieb sich an sei­nem und ich spür­te, wie sich mein Un­ter­leib vor Lust zu­sam­men­zog. Ich woll­te ihn schme­cken und jeden Zen­ti­me­ter von ihm er­kun­den. Er war ein­fach viel zu ver­lo­ckend.
„Möch­ten Sie mehr?“, flüs­ter­te er mit krat­zi­ger Stim­me und ich konn­te hören, wie er um Be­herr­schung rang. Sinn­lich­keit schwang in sei­nen Wor­ten mit und raub­te mir den Atem. Mein Kör­per stand in Flam­men und ich droh­te, jeden Mo­ment durch­zu­dre­hen.
„Ist es ver­rückt, wenn ich Ja sage?“
„Ziem­lich ver­rückt.“ Er grins­te und meine Mund­win­kel zuck­ten eben­falls nach oben. „Aber damit komme ich schon klar.“